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Slant

Slant

Titel: Slant Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Bear
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Wenn sie ein Plasmid absorbieren, heißt das nicht, dass sie sich reproduzieren werden, aber sie tauschen dennoch genetisches Material aus, und das ist es, was Bakteriologen als Sex bezeichnen. Im Gegensatz zu uns kann bakterieller Sex – diese Form des Austauschs – sogar zwischen völlig unterschiedlichen Varianten auftreten, die wir früher als unterschiedliche Arten oder gar Spezies betrachteten. Aber unter Bakterien gibt es keine Spezies im eigentlichen Sinne. Wir wissen heute, dass Bakterien nicht in Spezies aufgeteilt sind, sondern nur vorübergehende Gemeinschaften bilden, die wir als Mikrogene oder in jüngster Zeit gar als Bakteriotope bezeichnen.
    Die Plasmide enthalten hilfreiche Hinweise zum Überleben, wie man diese oder jene neue Verteidigung gegen ein Antibiotikum produziert, wie man sich als Gemeinschaft gegen den Angriff maßgeschneiderter Phagen wehrt.
    Damit hat der Sex begonnen – für die Bakterien. Am Anfang war Sex nichts anderes als ein Besuch in der großen Bibliothek. Deshalb nenne ich es Datensex. Kein Bakterium kann für längere Zeit ohne diesen Kontakt zur gemeinsamen Basis existieren. Was ist nun der Unterschied zwischen den Bakterien und uns?
    Es ist kein großer Unterschied. Auch Sie treffen sich in dieser Gruppe, Sie begrüßen sich, Sie verabreden sich zu persönlichen Terminen, und manchmal tauschen Sie Rezepte aus. Und manchmal kommen wir zusammen – wobei ich nicht notwendigerweise die Mitglieder dieser Gruppe meine –, um zu konjugieren, um genetisches Material auszutauschen, entweder im vergnüglichen sozialen Spiel oder im biologischen Zweikampf oder manchmal auch im Ernst, weil es wirklich an der Zeit sich, sich zu reproduzieren.
    Seit den Tagen der Bakterien haben sich einige höhere Organismen entwickelt, die sich ohne konjugierenden Sex reproduzieren. Der Grund dafür mag der sein, dass wir in weitaus geringerer Zahl als die Bakterien auftreten, die sich Millionen von Fehlern erlauben können. Zwangsläufig müssen wir also sehr genau darauf achten, welche Informationen in unsere Körper eindringen. Wir müssen unsere potenziellen Partner auf Herz und Nieren prüfen, um zu sehen, ob wir zur Erzeugung unserer Nachkommen wirklich auf ihre genetische Bibliothek zurückgreifen wollen. Wir beurteilen sie nach ihrem Aussehen und ihrem Verhalten und lösen damit die gesamte evolutionäre Pfauen-Palette der Präsentations- und Balzrituale aus.
    Jedes einzelne Buch, jedes Dokument in der Library of Congress begann mit einem reproduktiven Sexualakt, der es dem Autor ermöglichte, geboren zu werden und schließlich ein Buch zu schreiben. Dieses Buch fungiert nun als eine Art Plasmid, es dringt in Ihren Geist ein, verändert Ihre Gedanken, die das Muster des Verhaltens darstellen. Das Medium ist natürlich die Sprache. Sex ist Sprache, und Sprache ist Sex, ganz gleich, in welcher Form das Phänomen auftritt. Veränderungen in Anatomie und Verhalten sind die ultimativen Resultate – und gelegentlich, wenn auch eher zufällig, die Reproduktion.«
    Jonathan fragt sich, was, zum Teufel, Chao sich gedacht hat, diesen Mann zu einem Vortrag vor den Stoikern einzuladen. Normalerweise geht es um Wirtschaft, Politik, Aktivitäten in den Corridor-Gemeinschaften und nur selten um Wissenschaft oder internationale Angelegenheiten. Dieses Thema ist viel zu abstrus.
    »Also wollen wir dort beginnen, wo der Sex begann, bei den Bakterien. Wie erinnern sich Bakterien? Ihr Verhalten ist recht elementar, individuell betrachtet.«
    Das Querschiff füllt sich mit einem wimmelnden Strom von Bakterien, direkt über ihren Köpfen. Jonathan hat nicht damit gerechnet und zuckt zusammen, genauso wie die Frau links von ihm. Sie blicken sich gegenseitig mit einem verlegenen Lächeln an. Er versucht sich an ihren Namen zu erinnern – Henrietta, Rhetta, etwas in der Art. Sie hat beruflich mit ökonomischem Design zu tun. Jonathan gratuliert sich für sein zuverlässiges Gedächtnis.
    Der Sturzbach aus blauen und grünen Bakterien wird zu einem ruhigen Fluss. Individuen berühren sich, nehmen über winzige Röhren Kontakt auf, versammeln sich, entlassen Plasmide und eine Vielzahl von Molekülen, durch die sie sich gegenseitig auf Umweltbedingungen aufmerksam machen, die von »Vorposten« erlebt wurden. Sie sind in der Darstellung markiert. Diese Moleküle, so erklärt Torino, sind die Vorläufer der Neurotransmitter im menschlichen Gehirn…
    »Bakterien sind heimatlos und rastlos, und ihre individuelle

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