Slant
politischen und finanziellen Macht, die sie besitzen, als überflüssig. Marcus gehört zur X-Klasse, die so vermögend wie die meisten in den Combs ist, sich aber die intellektuelle Unabhängigkeit bewahrt hat – zumindest ist es das, war er Jonathan gegenüber beteuert.
»Übrigens«, sagt Marcus und blickt auf seine alte Rolex aus dem Zwanzigsten, die demodischer ist, als Worte beschreiben könnten. »Weiß Chloe eigentlich, wo du bist? Dass du dich mit mir triffst?«
»Ich habe ihr gesagt, dass es spät werden kann«, sagt Jonathan.
»Gut. Sei immer gut zu Frauen.« Er nimmt wieder einen Schluck. Jonathan erhascht einen Blick auf die Rechnung, die Marcus’ Pad anzeigt: Sechzehn Jahre alter Lagavulin, zweihundertfünfzig Dollar pro Glas. Vergänglicher Ruhm, denkt er. »Beate ist es vermutlich gleichgültig, wo ich bin, solange ich ihr nicht auf die Nerven gehe. Verdammt, Liebe ist ein alter Ackergaul, nicht wahr?«
Jonathan lächelt, geht aber nicht weiter darauf ein.
»Ich werde jetzt auf den Punkt kommen, Jonathan«, sagt Marcus. »Ich habe dich einer Gruppe empfohlen, die nicht mehr neu ist, etwas abseits des üblichen Flusses, aber sehr vielversprechend. Die Suchkriterien förderten unter anderem deinen Namen zutage, und ich habe deine Karte gezogen, weil wir uns kennen.«
»Was macht diese Gruppe?«
»Sie verlangt Diskretion, das ist es, was sie in erster Linie macht«, sagt Marcus. Sein Tonfall ist schroff, und sein Gesicht wirkt plötzlich älter. »Es ist schwer, etwas Neues zu erreichen, und noch schwerer, es geheim zu halten, insbesondere wenn man sich dadurch einen großen Vorteil verschafft. Einen sehr großen Vorteil.«
Jonathan bemüht sich, mit intellektuellem Touch zu schmunzeln. »Eine Geheimgesellschaft?«
»Ja«, erwidert Marcus todernst. »Man steigt nach und nach immer tiefer hinein und höher hinauf und am Ende steigt man nicht mehr aus.«
Jonathan erkennt, dass eine nüchterne Miene jetzt angemessener wäre. Insgeheim unterdrückt er ein enttäuschtes Lachen. Entweder erlaubt sich Marcus einen Scherz mit ihm, oder seine winzige Scotch-Schale ist ihm bereits zu Kopf gestiegen.
»Wie ich bereits sagte«, spricht Marcus ruhig weiter, »die Vorteile sind enorm. Genauso wie der Preis.«
Jonathan wüsste nichts, was er darauf erwidern sollte, also sieht er Marcus weiterhin mit geduldigem, direktem Blick an.
»Aber du bist bestens geeignet«, sagt Marcus und starrt in seine Schale. »Du bist jung und stark und das ist für die Gruppe bislang etwas Ungewöhnliches. Unsere Art von Weisheit« – er schnippt mit den Fingern – »findet ihr Zuhause in älteren Mauern. Den Jungen fällt es schwer, eine solche Last zu tragen.«
Jonathan besitzt noch genügend Selbstachtung, um sich durch diese melodramatische Vorstellung nicht einschüchtern zu lassen. Er lacht und schüttelt den Kopf. »Mein Gott, Marcus, du willst mich hochnehmen, nicht wahr?«
Marcus lächelt etwas traurig, aber seine Augen sind klar und konzentriert. Er ist nicht betrunken und er beliebt nicht zu scherzen. »Das hier ist ein altes Restaurant, und ich kenne jeden Farbkleckser an den Wänden. Niemand würde es wagen, dieses Lokal zu verwanzen, weil Leute wie ich wissen, wen sie am Schlawittchen packen und wem sie ins Ohr schreien müssen. Hier ist es sicher und gemütlich.«
»Du willst mich nicht auf den Arm nehmen?«
»Das liegt mir völlig fern«, sagt Marcus. »Entweder sagst du ja, dass du den nächsten Schritt tun willst, dass du mir soweit vertraust, oder du sagst nein und sprichst niemals mit irgendwem über diese Sache, auch nicht mit Chloe. Und man wird dir nie wieder ein solches Angebot machen.«
Die Kellnerin kommt vorbei und erkundigt sich, ob alles in Ordnung ist. Marcus antwortet ihr, dass alles bestens ist, und bestellt einen zweien Lagavulin.
»Stagnation, Stolpersteine; die Regeln ändern sich«, sagt Marcus, nachdem sie gegangen ist. »Das ist es, was dich erwartet. Yox macht die Zeitarbeiter und Disaffektiven noch unwissender und aggressiver, die Arschkriecher sind im Management wieder im Spin, pffft! Das Kollektiv hat das Sagen, allesamt grunzende Ferkel, und wer von uns das Zeug zum Manager hat, wird bald mit dem Hintern und ohne Schaufel im Schnee landen. Die gottverdammten Maschinen werden auch uns ersetzen.«
»Komm schon, Marcus, erzähl mir was Netteres!«, sagt Jonathan. Er ist nicht bereit, sich auf einen solchen Unsinn einzulassen, aber als er Marcus ansieht und daran denkt, was er
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