Slant
Schmieröl, mit dessen Hilfe besorgte Menschen leichter durchs Leben rutschen. Es sind keine richtigen Lügen – aber trotzdem sehr schlüpfrig.
In einer Baptisten-Gemeinde in New Hope, Pennsylvania, ist es üblich, die Wiedergeborenen in einem Strom aus lebendem Licht zu taufen, gesteuert durch verschlüsselte Daten des Flusses. Die Gläubigen sagen, dass man während dieser Taufe den Leib und das Blut Christi aufnimmt und dadurch seine Daten absorbiert.
Das macht Christus zu einem Virus.
Die Evolution der Gemeinschaftsmeme geht weiter.
- USA UP-TEMPO-SPIN
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Das Thirteen Coins ist ein altehrwürdiges und sehr demodisches Restaurant, in dem früher die Presse verkehrte. Nun befindet es sich in einem renovierten Wohnviertel, eine Insel der Tradition und Vergangenheit inmitten eines hügeligen Parks voller Pflanzengestalten, die sich bewegen, wachsen und ihren Formschnitt bewahren: Löwen, Elefanten, Dinosaurier sowie Raumschiffe und Ringplaneten.
Der Sturm hat den Park in eine bedrohliche Traumlandschaft verwandelt. Die leuchtenden Wegmarkierungen konkurrieren mit den blaugrünen und orangefarbenen Blitzen.
In einer erhöhten, abgeschiedenen, pseudo-mittelalterlichen Sitzecke neben einem breiten Fenster mit Blick auf den Garten trinkt Marcus einen Lagavulin, während Jonathan ein Glas mit chilenischem Sangiovese bestellt hat.
»Ich liebe die Stoiker«, sagt Marcus. »Missversteh mich nicht, Jonathan. Nirgendwo wirst du eine bessere und engagiertere Gruppe von Philanthropen und überzeugten Bürgern finden. Ich habe nie zuvor in meinem ganzen Leben fruchtbarere Kontakte geknüpft – vielleicht mit Ausnahme der Verwandtschaft meiner Frau.« Er zieht die Augenbrauen und die Mundwinkel hoch, ein rätselhafter Gesichtsausdruck, in dem sich Elemente des Verdrusses und der Resignation kombinieren. Dann nippt er sehr behutsam an der kleinen Keramikschale mit dem Single-Malt-Scotch. »Sherry ist ganz versessen aufs Erwachsenwerden. Sechzehn Jahre und schnurrt wie ein Tiger. Wunderbare Sachen.«
»Du wolltest sie aufrütteln«, wirft Jonathan ein, damit Marcus möglichst bald zur Sache kommt.
»Du hast mich voll durchschaut«, sagt Marcus. »Jemanden wie Torino auf sie loslassen und schauen, was er lostritt. Aber… nichts. Nur Staub und ein paar aufgeschreckte Motten. Er hat völlig Recht, weißt du. Diese neuralen Hypothesen sind topaktuell. Sie beschreiben auf praktische und nützliche Weise, wie die Gesellschaft funktioniert. Scheiß auf die Natur. Wie viele von uns könnten heute noch im Dschungel überleben? Und jeder, der aufmerksam der Argumentation folgt, kann…« – er nimmt einen weiteren winzigen Schluck -»darüber hinauswachsen. Die Herausforderungen überleben.«
»Ich glaube, ich muss die Sache etwas eingehender studieren.«
Marcus starrt ihn unbeirrt an, sogar ein wenig ernst. »Ja. Aber du bist nicht hier, um mit mir zu sprechen. Ich habe dich nicht hierher eingeladen, damit du zu mir sprichst und mir zusiehst, wie ich guten Scotch trinke, während du ein Glas eines unnatürlichen, zweifelhaften Jahrgangs hinunterkippst. – Mensch! Ein chilenischer Chianti! – Denn du könntest von Torino profitieren.«
»Du hast mich stets in die richtige Richtung gelenkt, Marcus. Also, warum bin ich hier?«
»In letzter Zeit scheint das Leben zu stagnieren, stimmt’s, Jonathan?«
Jonathan neigt den Kopf.
»Du bist ein feiner Kerl, klug und wohlerzogen. Du hast einen guten Stammbaum – sowohl genetisch als auch mental. Du könntest längst zwischen den Top-Comb-Managern sitzen, wenn das Schicksal dir andere Möglichkeiten geboten hätte.«
Jonathan lächelt schwach. »Ich genieße das Leben unterhalb der Combs, Marcus.«
»Ob du’s glaubst oder nicht – aber das sehe ich genauso. All diese gesellschaftlichen Erwartungen, all die Rituale. Es ist nicht einfach, auf der High-Comb-Route zu bleiben und sich im Rennen gegen Amerikas selbsternannte Eliten zu behaupten. Sie sind so selbstgefällig. Trotzdem frage ich mich, warum so viele von ihnen irgendwann zu Chronovoren werden, hmm? Ich meine«, fährt Marcus fort, »sie würden doch nur immer wieder dasselbe Leben durchspielen, dieselbe Runde aus Ritualen, Herausforderungen und Erwartungen, bis die Zukunft sie eingeholt hätte… Nicht gerade eine erstrebenswerte Situation, oder?«
Jonathan hat keine Ahnung, worauf das alles hinausläuft, aber er nickt dennoch. In seiner Klasse gelten die High-Combs trotz der unbestrittenen
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