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Slow Travel: Die Kunst Des Reisens

Slow Travel: Die Kunst Des Reisens

Titel: Slow Travel: Die Kunst Des Reisens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Kieran
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die Leute anzusehen. Es gab viele makellos gekleidete alte Damen und Pendler, aber nicht das Einerlei von Anzugträgern, die man zu dieser Tageszeit in London sieht.
    Fremde Bahnhöfe bieten ebenso viele Metaphern wie Fahrtziele an. Ich denke, das liegt an der geistigen Verfassung des Reisenden – aus irgendeinem Grund beginnt man über Vorstellungen und Fragen nachzudenken, die einem nie in den Sinn kommen, wenn man zu Hause im Alltag ein öffentliches Transportmittel nutzt. Einsame Reisende denken gerne, sie befänden sich auf einer wichtigen Mission, die nur sie selbst kennen. Wohin meine Gedanken wandern, wenn ich unterwegs von A nach B bin, begeistert mich oft mehr als mein eigentliches Reiseziel. Jetzt musste ich buchstäblich gegen den Strom schwimmen und wurde zu einem Fels in der Brandung, der von den Pendlern mit ihren Aktentaschen umspült wurde. Jedes Hemd und jeder Schlips um mich herum schien ohne Bewusstsein zu sein, und ich sah mich verwirrt um, um das richtige Gleis für meinenAnschlusszug zu finden. Ich blieb stehen, um die Szenerie in mich aufzunehmen, wie ich es immer tue. Wenn man in die entgegengesetzte Richtung unterwegs ist als die meisten anderen, ist es gewöhnlich ein Zeichen dafür, dass man einen interessanteren Weg eingeschlagen hat.
    Inmitten des Gedränges sah ich Rettung in Form einer roten Jacke und einer wunderschönen blonden Frau, die eine Plakette mit der Aufschrift »Kann ich Ihnen helfen?« in verschiedenen Sprachen trug. Sie lächelte und zeigte mir den Weg. Ich rannte eine Treppe hinauf und schob meine Tasche durch den Gepäckscanner. Eine lange Rolltreppe trug mich gemächlich hinunter zum Zug, und wenige Minuten vor der Abfahrt fand ich meinen Platz. Die Klimaanlage war mir sehr willkommen und der Geschwindigkeitsanzeiger weckte den kleinen Jungen in mir. Die Talgo-Schnellzüge (die wegen ihrer schnabelartigen Nase auch »Enten« genannt werden) können über 300 Stundenkilometer erreichen und brauchen zweieinhalb Stunden bis nach Málaga, das an der Küste liegt; sie fahren über Córdoba, wo man nach Sevilla umsteigen kann. Ähnliche Züge gibt es auch in Deutschland, und wenn man einen Platz im vordersten Waggon bucht, kann man dieselbe Aussicht wie der Zugführer genießen, von dem man nur durch eine Glasscheibe getrennt ist. Das ist allerdings nichts für Angsthasen.
    Der einzige Nachteil an den spanischen Zügen ist, dass gewöhnlich ein Film auf den Fernsehschirmen läuft, die man von überall sehen kann, egal wo man sitzt. Vor der Abfahrt werden Kopfhörer aus einem kleinen Körbchen verteilt, damit man zuhören kann. Ich wandte mich dem anderen Bildschirm zu und betrachtete, wie die Ausläufer der Stadt in Felder, Bäume und staubige Straßen übergingen. Der Blick aus dem Zugfenster ist nämlich das eigentliche Fernsehen.

    Meine erste alleinige Erfahrung mit dem langsamen Reisen hatte wiederum etwas mit Henry zu tun. Zehn Jahre nachdem wir durch Europa getrampt waren, nahm ich den Zug von London nach Warschau, um Trauzeuge bei seiner Hochzeit zu sein. Es sollte eine ereignisreiche Reise werden. Von London nach Brüssel, von Brüssel nach Köln und dann mit dem Nachtzug über die Grenze nach Polen. Das Ganze erwies sich als ein triumphales Beispiel für den glücklichen Zufall und regelrecht befreiend, denn ein Terroranschlag ruinierte meine sorgfältige Planung, bevor ich überhaupt das Haus verließ. Ich sah mir beim Frühstück die Nachrichten an und erfuhr, dass eine Granate auf das MI6-Gebäude abgefeuert worden war, und zwar von der Bahntrasse aus, die alle Eurostars überqueren mussten. Die Granate hatte dem MI6-Hauptquartier keinerlei Schaden zugefügt, aber sie machte meinen Zeitplan vollkommen hinfällig. Ähnlich wie die Panik, die mich an der Kreuzung in Frankreich überkommen hatte, als meine schlimmsten Befürchtungen eingetroffen waren, gab mir die Erkenntnis, dass mein minutiöser Reise-plan völlig über den Haufen geworfen war, ein seltsam ruhiges Gefühl. Dann wurde die Aufregung immer stärker. Ich würde ein neues Abenteuer erleben.
    Alle anderen Hochzeitsgäste waren innerhalb von wenigen Stunden von London nach Warschau geflogen, und ein paar Tage später, als die Feierlichkeiten sich bereits dem Ende zuneigten, bemerkte ich in der Hotelbar, dass mein früherer Vergleich von U-Bahn und Bus sich als zutreffend erwies. Ich fühlte mich anders, auf eine Weise, die ich den Menschen um mich herum nicht erklären konnte. Ich dachte dauernd an

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