Small World (German Edition)
einem kleinen Park lag. Konrad ließ das Taxi warten, begleitete sie bis zur Haustür und verabschiedete sich. Er wollte sich schon umdrehen, als sie die Tür noch einmal öffnete und sagte:
»Haben Sie Zeit am Samstagabend? Ich würde etwas kochen.«
Das Restaurant des Grand Hotel des Alpes hieß Carême, nach dem großen französischen Küchenchef des 19. Jahrhunderts. Es war stolz auf seine »ancienne cuisine«. Elvira Senn liebte das Lokal aus anderen Gründen: Es war nahe der Villa, prominente Gäste wurden nicht angegafft, sie hatte ihren festen Tisch, außer Hörweite der anderen Gäste, und die Brigade beherrschte ihre bevorzugten Diätmenüs.
Sie aß jeden Donnerstag im Carême und benutzte das Abendessen meistens für informelle, aber um so entscheidendere geschäftliche Besprechungen.
An diesem Abend hatte sie ihren Enkel Urs Koch gebeten, sie zu begleiten. Während des Essens eröffnete sie ihm, daß sie sehr ernsthaft in Erwägung ziehe, ihm die Leitung der »Koch-Electronics« zu übergeben. Beim Dessert (für sie ein Apfel, für ihn »crème brûlée«) brachte sie das Gespräch auf Simone, und als sie sicher war, daß er verstanden hatte, daß die beiden Themen für sie in einer gewissen Abhängigkeit zueinander standen, kam sie auf Konrad Lang zu sprechen.
»Er macht mir Sorgen«, vertraute sie ihm an.
»Du machst dir Sorgen um Koni?«
»Nicht um Koni. Wegen Koni. Ich will nicht, daß er uns schadet.«
»Wie kann jemand wie Koni uns schaden?«
»Mit Geschwätz. Alten Geschichten.«
»Gibt es denn alte Geschichten?«
»Er kann welche erfinden.«
Urs zuckte die Schultern. »Die Karawane zieht weiter.«
Elvira lächelte. »Mit Urs an der Spitze.« Sie hob ihr Glas Mineralwasser. Urs schenkte sich den Rest Burgunder ein. Sie stießen an.
»Abgesehen davon wird er sich sowieso bald zu Tode gesoffen haben.«
»Dazu reicht sein Taschengeld nicht aus«, antwortete Elvira Senn.
Am nächsten Morgen wies sie Schöller an, Konrad Langs Wochenlimit zu erhöhen. Von dreihundert auf zweitausend.
Am ersten Abend hatten sich Konrad und Rosemarie, wie das an ihrem ersten Abend alle tun, ein bißchen was vorgemacht. Sie hatten sich von ihrer besten Seite gezeigt, von ihren Erfolgen geredet und die Mißerfolge weggelassen.
Jetzt, am zweiten Abend, war es anders. Rosemarie empfing ihn ganz locker, spannte ihn sofort zum Tischdecken ein und staunte, wieviel Kunst und Routine er dabei an den Tag legte. Sie schenkte zwei Glas Meursault ein, und sie gingen damit auf die Terrasse. Es war ein milder Abend, Frühling in der Luft, die Lichter der gegenüberliegenden Ortschaft schaukelten auf dem See, und aus dem Fenster unter ihnen wehte Klaviermusik.
»Chopin, Nocturne Opus 9, Nummer 1, b-Moll«, sagte Konrad. Rosemarie schaute ihn von der Seite an.
Sie aßen wilden Reis, der etwas zu weich, und Lachs, der etwas zu trocken geraten war. Konrad vergaß seine Zurückhaltung beim Weißwein. Er erzählte ihr immer ungeschminkter aus seinem Leben.
Sie wußte einigermaßen, wovon er sprach. Auch sie war in den Kreisen ihres ersten Mannes nur als Anhängsel geduldet worden.
Kurz vor Mitternacht enthüllte Konrad Rosemarie eines seiner bestgehüteten Geheimnisse. Er setzte sich an das Klavier in ihrem Wohnzimmer und spielte die rechte Hand der Nocturne, die sie vor ein paar Stunden auf der Terrasse gehört hatten. Dann spielte er die linke.
»Und jetzt zusammen«, lächelte Rosemarie.
Da erzählte ihr Konrad von seinem Scheitern als Pianist.
Um ein Uhr setzte sie sich neben ihn und begleitete ihn mit der linken Hand zu »Für Elise«. Nicht ganz fehlerfrei, aber es genügte, um Konrad dazu zu verleiten, ihr auch sein letztes Geheimnis zu verraten: die Wahrheit über seine Situation. Die Abhängigkeit von den Kochs. Die ganze Scheiße.
Am nächsten Morgen erwachte Konrad Lang im Bett von Rosemarie Haug und konnte sich an nichts erinnern.
Konrad hätte Rosemarie gern gefragt, was in der letzten Nacht vorgefallen war. Aber er wollte nicht, daß er klang wie ein Gymnasiast, der nach dem ersten Mal fragt: »Wie war ich?«
So verließ er sie mit einem unguten Gefühl, aber einigermaßen beruhigt durch den Umstand, daß sie ihn für den kommenden Abend wieder zu sich eingeladen hatte.
Er verbrachte den Tag in seiner Wohnung und zermarterte sich vergeblich das Hirn nach irgendeinem Fetzen Erinnerung an die Nacht.
Pünktlich und mit einer langstieligen Rose traf er am Abend bei ihr ein. Sie begrüßte ihn mit einem
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