Small World (German Edition)
Kuß, nahm ihm die Blume ab, ging damit in die Küche und füllte eine kleine Vase mit Wasser.
»Im Kühlschrank hat es Weißen, oder möchtest du lieber Roten?« rief sie über die Schulter.
»Hast du auch Wasser?« fragte Konrad aus einer Eingebung heraus.
»Im Kühlschrank.« Rosemarie trocknete die Vase ab und brachte sie ins Wohnzimmer. »Wenn du Wasser nimmst, nehme ich auch welches«, sagte sie im Vorbeigehen. Sie stellte die Rose auf den gedeckten Tisch. Konrad kam mit einer Flasche Mineralwasser und schenkte zwei Gläser voll.
»Gesundheit«, sagte er und hielt ihr ein Glas hin.
»Deshalb Wasser?«
Beide tranken.
»Nein, Gedächtnis. Eher Gedächtnis.« Er gab sich einen Ruck. »Ich kann mich nicht an gestern nacht erinnern.«
Rosemarie schaute ihm in die Augen und lächelte.
»Schade.«
Am nächsten Morgen spazierte Konrad Lang das Seeufer entlang in die Stadt zurück. Ein frischer Morgen. Hellgrüne Triebe an den Kastanien. Um ihre Stämme versammelten sich schon die Krokusse.
Konrad hatte den ganzen Abend keinen Tropfen getrunken, und sein Erinnerungsvermögen an die letzten Stunden war, soweit er es beurteilen konnte, völlig intakt. Selten hatte er sich so phantastisch gefühlt. Vielleicht ein einziges Mal, 1960, auf Capri. Aber damals war er jung und verliebt gewesen.
Sie waren mit der »Tesoro«, der altmodischen Motorjacht der Piedrinis, auf dem Mittelmeer unterwegs. Eine internationale Clique junger, reicher Leute, die sich dekadent fühlten und es wohl auch waren. Im gleichen Jahr war Fellinis »La Dolce Vita« herausgekommen und hatte eine nachhaltige, nicht gerade abschreckende Wirkung auf sie alle ausgeübt.
Sie legten in Capri an, weil sie an der gleichen Stelle ein Fest feiern wollten, an der Tiberius während seiner Orgien Knaben über die Klippen gestoßen hatte. Und ein Picknick veranstalten im Garten der schwindelerregenden Villa Lysys, die der schwedische Graf Fersen der Jugend der Liebe gewidmet hatte.
Thomas wohnte während des Landaufenthaltes mit den anderen im Quisisana. Konrad hatte er nahegelegt, auf die Jacht aufzupassen. Eine absolut überflüssige Maßnahme angesichts der zwölfköpfigen Besatzung der »Tesoro«. Aber Thomas war im Moment absorbiert von der atemberaubenden Blasiertheit der Piedrinis. Konrad war ihm wieder einmal im Weg.
Dieser wußte nicht recht, ob er beleidigt oder eher froh sein sollte, die lärmende Gesellschaft für eine Weile los zu sein. Er aß auf Deck, aufmerksam bedient von einem weiß livrierten, schweigsamen Steward, und schaute zum Hafen hinüber. Bunte Lichter glitzerten in den Hafenkneipen, und das Meer trug traurige neapolitanische Melodien herüber. Plötzlich überkam ihn das vertraute Gefühl, wieder einmal am falschen Ort zu sein. Dort drüben drehten sich die Paare, klangen die Gläser, spielte sich das Leben ab. Und er saß hier.
Er ließ sich zum Hafen übersetzen und betrat erwartungsvoll die kurze Promenade. Die Hafenkneipen waren voller deutscher Touristen, die Musik kam aus Grammophonen, und die bunten Glitzerlichter waren schludrig bemalte Glühbirnen. Er ging weiter, vorbei an den Kneipen, bis ans Ende des Piers. Dort saß eine junge Frau, die Arme über den Knien verschränkt, und schaute aufs Meer. Als sie ihn kommen hörte, blickte sie auf.
»Mi scusi«, sagte er.
»Niente Italiano«, antwortete sie. »Tedesco.«
»Entschuldigen Sie, ich wollte Sie nicht stören.«
»Ach, Schweizer?«
»Und Sie?«
»Wien.«
Konrad setzte sich neben sie. Sie schauten eine Weile schweigend aufs Meer.
»Sehen Sie die Jacht da draußen?«
Konrad nickte.
»All die Lichter.«
»Ja.«
»Manchmal trägt der Wind ein Gelächter herüber.«
»Ach.«
»Und wir sitzen hier.«
»Und wir sitzen hier«, wiederholte Konrad.
Wie wenn sie sich in dieser Sekunde, jeder für sich, entschlossen hätten, das Leben nicht mehr ohne sie stattfinden zu lassen, küßten sie sich.
Elisabeth hieß sie.
Sie verbrachten drei Tage in ihrer Pension. Daß er zur Jacht gehörte, erwähnte er nicht. Aus Angst, damit den Zauber zu zerstören.
Am vierten Tag ging er zu Thomas ins Quisisana und eröffnete ihm, daß er auf eigene Faust weiterreisen werde.
»Wegen der Blonden?« fragte der.
»Welcher Blonden?«
»Ich habe euch vor dem Grotto gesehen. Du hattest nur Augen für sie. Verständlich, übrigens.«
Thomas wünschte ihm alles Gute, und sie verabschiedeten sich.
Am nächsten Tag kam Elisabeth ganz aufgeregt ins Zimmer. »Erinnerst du dich
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