Small World (German Edition)
Er konnte nur warten und ab und zu heißes Wasser nachfüllen und hoffen, daß ihn jemand vermißt. Dann hatte er die Idee, den Überlauf mit dem Waschlappen zu verstopfen und das Bad so lange überlaufen zu lassen, bis die unten den Hauswart alarmieren. Das hat dann funktioniert. Aber die Versicherung will jetzt den Wasserschaden nicht bezahlen. Weil er vorsätzlich verursacht wurde.«
»Konis Wohnung hat nur Dusche.«
»Siehst du.«
Die Tannenstraße 134 lag nur fünf Minuten zu Fuß vom Rosenhof. Barbara hatte Doris bearbeitet mitzukommen. Falls sie den Hauswart bitten mußten, die Tür aufzuschließen, wirke das offizieller mit der Uniform.
»Ich bin im Verkehrsdienst, nicht bei der Kripo«, hatte Doris protestiert, aber dann war sie doch mitgekommen.
Als sie vor fünf Minuten aus dem Rosenhof noch einmal angerufen hatten, hatte sich niemand gemeldet. Konrads Wohnung im dritten Stock war dunkel. Nur hinter einem kleinen milchverglasten Fenster brannte Licht.
»Das Badezimmer!« Barbara drückte auf die Klingel mit dem Namen »O. Bruhin, Hauswart«.
Dreimal mußte sie läuten, bis im Treppenhaus Licht anging. »Du redest«, zischte Barbara Doris zu, als ein mißmutiger, zerzauster Mann mit verquollenem Gesicht aufmachte.
»Unsereins muß morgens um halb sechs raus«, brummte er. Als er Doris’ Uniform sah, wurde er etwas umgänglicher. Er hörte sie an und willigte ein nachzuschauen. Er führte sie in den dritten Stock und ließ sie dort warten. Nach einer Weile kam er mit dem Passepartout zurück und steckte ihn ins Schloß.
»Geht nicht, Schlüssel steckt von innen.«
»Dann müssen wir die Tür aufbrechen«, verlangte Barbara.
Der Hauswart wandte sich an die Politesse. »Dazu muß ich Ihren Ausweis sehen.«
Während Doris Maag ihren Dienstausweis herausfingerte, drehte sich in der Wohnung der Schlüssel im Schloß. Die Tür öffnete sich einen Spalt, und Konrad Langs erstauntes Gesicht erschien.
»Koni, bist du in Ordnung?« fragte Barbara.
»Und wie«, antwortete er.
Konrad Lang hatte gerade die erste Woche ohne Alkohol hinter sich gebracht. Das Jucken und Kribbeln war am Abklingen. Die Phase der Nächte, in denen er ohne Schweißausbrüche durchschlafen konnte, begann. Er stand ausgeruht und voller Tatendrang auf, und die Momente, in denen er an Alkohol dachte, das »Reißen«, wie er es nannte, begannen seltener zu werden.
Er besaß viel Übung im Aufhören. Er kannte jedes Stadium bis zum zweiten Monat. Er erinnerte sich an die Euphorie, die jeweils ab dem dritten Tag von ihm Besitz genommen hatte. Aber diesen unbeschreiblichen Taumel, in dem er sich diesmal befand, hatte er noch nie gespürt. Der konnte nicht nur von den paar fehlenden Gläschen stammen. Und auch nicht nur von seiner unerwarteten finanziellen Verbesserung. Der hatte noch einen anderen Grund: Rosemarie Haug.
Sie hatten seit der »Nacht des Vergessens«, wie sie sie jetzt nannten, jeden Tag und jede Nacht zusammen verbracht.
Sie fuhren mit dem einzigen Linienschiff, das in dieser Jahreszeit verkehrte, als einzige Passagiere bis ans Ende des nebligen Sees und wieder zurück.
Sie gingen in den Zoo und schauten den Affen zu, in Gesellschaft einer alten Frau, die ihren Schimpansen mit Namen anredete und von ihm erkannt wurde.
Sie spazierten den Weg mit den alten Gaslaternen bis zum Aussichtsturm hinauf, aßen im altmodischen Ausflugslokal inmitten von Rentnern Apfelkuchen und tranken Kaffee.
»Wie alte Leute«, hatte Rosemarie gesagt.
»Ich bin ja auch ein alter Mann.«
»Kommt mir nicht so vor«, hatte sie gelächelt.
Auch Konrad Lang kam es nicht so vor.
Am vorigen Abend waren sie ins Konzert gegangen. Ein Schumann-Abend. Als Rosemarie Konrad einmal von der Seite ansah, hatte er nasse Augen. Sie nahm seine Hand und drückte sie fest.
Als Konrad an diesem Tag in den Spiegel blickte, stellte er bereits eine Veränderung fest. Es kam ihm vor, als hätten sich die Gefäße durch den Alkoholentzug schon etwas verengt, seien die Wangen etwas weniger gerötet, die geplatzten Äderchen etwas weniger sichtbar. Auch die Tränensäcke waren nicht mehr so gedunsen, das ganze Gesicht wirkte straffer, der ganze Mann unternehmungslustiger. Und, wie er fand, jünger.
Vielleicht, dachte Konrad Lang, hat jetzt endlich meine Glückssträhne begonnen.
In dieser Stimmung war er, als Barbara mit der Politesse und dem Hauswart seine Wohnung aufbrechen wollte. Er war seit zwei Tagen nicht mehr in der Wohnung gewesen und wollte sich
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