Small World (German Edition)
Flittchen aus Wien, kennengelernt, das sich Erwin Gubler, einer der bedeutenden Immobilienhändler des Landes, für die Festtage hatte einfliegen lassen. Jetzt hatte Urs sie in der Turmsuite des Des Alpes untergebracht, nach Familientradition. Simone war dahintergekommen, weil unter den Telefonnotizen eine lag, die lautete: »Frau Theresia Palmers bittet Herrn U. Koch um Rückruf. Grand Hotel des Alpes, Turmsuite.« Und darunter eine Telefonnummer.
Aber nicht die Affäre selbst machte Simone zu schaffen. Es war mehr das Timing. Sie war nämlich schwanger. Urs wußte es zwar noch nicht. An dem Tag, an dem sie ihn mit der Neuigkeit überraschen wollte, fand sie die Telefonnotiz. Aber sie bezweifelte, ob er sich dann anders verhalten hätte.
Der melancholische Januar und die Hoffnungslosigkeit, die sich im Gästehaus langsam breitmachte, taten ihr übriges. Zum ersten Mal, seit sie Konrad Lang unter ihre Fittiche genommen hatte, beschlich sie wieder die bleierne Schwere ihrer Depressionen.
Sie zwang sich zwar, Konrad weiterhin zu den gewohnten Zeiten zu besuchen, aber es waren nur noch bedrückende Momente, die sie da stumm miteinander verbrachten.
Immer öfter passierte es, daß Simone früher ging als üblich, und immer häufiger geschah es, daß sie sich nach einem solchen Besuch in ihr Laura-Ashley-Zimmer flüchtete und heulte. Jeden Tag etwas mehr über sich und etwas weniger über Konrad Lang.
Es sah aus, als wäre Simone Koch die zweite Frau, die, unbemerkt von Konrad Lang, aus seinem Leben verschwand.
Elvira Senn wartete noch ein paar Tage ab. Als die Nachrichten aus dem Gästehaus keine Besserung von Konrad Langs Zustand verhießen, gab sie Dr. Stäublis Drängen nach und reiste nach Gstaad, wo sie ihre traditionellen Winterferien im Koch-Chalet verbringen wollte.
»Die Distanz wird Ihnen guttun«, sagte er und versprach ihr, die Stellung zu halten. »Wenn etwas ist, rufe ich Sie an.«
»Auch mitten in der Nacht.«
»Auch mitten in der Nacht«, log er.
Elvira in Gstaad, Thomas in der Karibik, Urs von seiner Affäre in Anspruch genommen – das gesellschaftliche Leben in der »Villa Rhododendron« war zum Erliegen gekommen, und Simone in ihrem Zustand war nicht die Frau, die etwas dagegen unternahm. Sie war froh, keine Verpflichtungen zu haben, blieb bis tief in den Nachmittag im Bett oder in ihrem Zimmer und zog sich nur noch für ihre Pflichtvisiten bei Konrad Lang an.
An einem nebligen Samstag – ein kalter Dauerregen trommelte an die Fensterscheiben, die Buchengruppe neben dem Pavillon war kaum zu erahnen, Urs war übers Wochenende angeblich geschäftlich in Paris, und Simones Glieder waren so schwer wie die nassen Äste der alten Tanne neben ihrem Fenster – ging sie nicht zu Konrad.
Auch am nächsten Tag verließ sie ihr Zimmer nicht. Und am Tag danach war es ihr bis weit in den Nachmittag hinein gelungen, nicht an ihn zu denken, als es klopfte.
Es war Schwester Ranjah, die gehört hatte, es gehe ihr schlecht, und fragen wollte, ob sie etwas brauche. Sie hatte ein Aquarell von Konrad mitgebracht.
Es sah aus wie ein bunter Garten, an dessen Rand ein kurzer Baumstrunk stand. Daneben hatte Konrad das Wort »Baum« gemalt.
Es war nicht so sehr das Bild, das sie berührte, sondern das, was er mit unbeholfenen Buchstaben an den unteren Bildrand geschrieben hatte: »Konrad Lang. Eigentlich wollte ich noch darüber schreiben.«
Was wollte er schreiben? Und worüber? Über den seltsamen Garten aus roten, grünen, gelben und blauen Schlangenlinien, Kreisen, Tupfen und Bändern, die vielleicht Hecken, Wege, Teiche, Büsche, Blumen und Beete waren? Oder über das große Wort »Baum« neben dem kleinen, bedauernswerten Strunk?
Wollte er darüber schreiben, daß auch ein Strunk noch ein Baum ist?
»Eigentlich wollte ich noch darüber schreiben.« Und was hielt ihn davon ab? Daß er schon wieder vergessen hatte, was? Oder daß er niemanden hatte, der verstehen würde, was er meinte?
Das Aquarell bewies ihr, wieviel in diesem Hirn noch vor sich ging, von dem die Ärzte sagten, es werde bald nicht mehr in der Lage sein, auch nur die einfachsten Körperfunktionen zu steuern.
Simone Koch verschwand nicht aus Konrads Leben. Im Gegenteil: Sie beschloß, alles zu tun, damit er nicht aus ihrem verschwand.
Dr. Wirth war etwas überrascht gewesen, als man ihm bei seiner Visite ausgerichtet hatte, er solle sich doch bitte anschließend kurz bei Frau Simone Koch melden.
Jetzt saß er in diesem eigenartigen
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