Smaragdjungfer
Rambacher sprach in einem Ton, als hätte Severin einen Gemeinplatz als eine Sensation zu verkaufen versucht. »Es handelt sich dabei um den eher selten gebrauchten Überbegriff für verschiedene Smaragdlibellengattungen der Somatochlorae aus der Familie der Corduliidae, auch Falkenlibellen genannt. Davon leben in Deutschland vier verschiedene Arten. Plus eine aus der Familie der Macromiidae, die zwar auch Smaragdlibelle heißt – Prächtige Smaragdlibelle, um genau zu sein –, aber trotzdem nicht zu den Somatochlorae gehört.«
Paula wünschte sich, sie hätte Severin derart auflaufen lassen können. Aber sie kannte sich mit Jazz aus, nicht mit Libellen. Severin sah Rambacher irritiert an und wirkte für einen Moment nicht mehr so selbstsicher oder überheblich. Er fing sich jedoch schnell wieder.
»Ich sagte ja, dass Jasmin sehr gebildet war, was sich auch in der Wahl ihres Berufsnamens ausdrückte.«
Paula entnahm dem Ordner eine Mappe aus dunkelblauem Lederimitat, die sie an eine Speisekarte im Restaurant erinnerte. Sie schlug sie auf und blickte auf eine Ganzkörperaufnahme von Jasmin Stojanovic. Sie trug tatsächlich ein grünes Kleid. Um den Hals lag ein Collier aus in Gold gefassten grünen und kleineren weißen Steinen, das in einem Anhänger in Form einer Libelle auslief. Die Libelle war reichlich groß. Falls die Steine des Colliers tatsächlich echt waren, musste es ein Vermögen wert sein.
»Verdient man bei Ihnen so viel, dass man sich solchen Schmuck leisten kann?« Sie hielt Severin das Bild hin und tippte auf das Collier.
Er zuckte mit den Schultern. »Ich glaube nicht, dass die Steine echt sind. Die hätte sie sich tatsächlich von ihrem Verdienst bei mir nicht leisten können. Dieses Collier war ihr Markenzeichen. Eine Libelle aus Smaragden – da lag der Name ›Smaragdjungfer‹ ja wohl nahe. War wohl ihr Lieblingsschmuck. Ich habe sie jedenfalls nie ohne das Ding gesehen.«
Oder das Collier war ein Geschenk von Kastor gewesen. Die Tote hatte keinen Schmuck getragen. Falls Kastor die Wahrheit gesagt haben sollte und er wirklich nach einem Collier gesucht hatte, konnte es durchaus dieses gewesen sein. Aber es hatte sich definitiv nicht in Jasmin Stojanovics Schmuckkasten befunden und war auch nicht bei Kastor sichergestellt worden.
Paula klappte die Mappe zu und stand auf. »Vielen Dank, Herr Severin. Wir nehmen die Mappe mit.«
»Nur zu. Da Jasmin tot ist, brauche ich sie nicht mehr.«
»Wie praktisch für uns. Falls Sie noch weitere Unterlagen über Frau Stojanovic loswerden wollen, nehmen wir die auch gern mit und ersparen Ihnen das Entsorgen.«
Severin blickte sie kalt an. »Sie haben alles, was ich Ihnen ohne Richterbeschluss bereit bin zu geben. Ich wünsche Ihnen noch einen schönen Tag.«
»Gleichfalls. Und bemühen Sie sich nicht, wir finden alleine raus.«
Sie nickte ihm zu und verließ mit Rambacher die Agentur.
»Ich fand es ziemlich verdächtig, dass Severin sofort Kastor erwähnt hat«, sagte er, als sie im Auto saßen und zur Dienststelle zurückfuhren.
»Ich auch. Ganz so, als wüsste er sehr genau, dass Frau Stojanovic heute Morgen mit ihm verabredet war, auch wenn er das leugnet.«
»Glauben Sie seinen Beteuerungen, dass seine Angestellten keinen Sex mit den Klienten haben?«
»Das glauben wir ihm schon seit Jahren nicht. Bis jetzt konnten wir ihm aber nicht das Gegenteil beweisen. Seine Leute halten ebenso dicht wie seine Kunden, bei denen wir sowieso nur sehr selten einen Grund für eine Befragung finden. Jedes Mal, wenn wir glauben, ihm endlich auf den Pelz rücken zu können und nachhaken, ist er ganz besonders sauber. Wie frisch gebleicht.«
Rambacher warf ihr einen langen Blick zu. Er schien etwas sagen zu wollen, entschied sich aber dagegen.
»Hat ihm übrigens nicht geschmeckt, Ihre Lektion über die Libellen. Sein Gesicht war sehenswert.«
Wieder sah er sie einen Moment an und überlegte offenbar, wie er darauf reagieren sollte. »Da Sie ja keinen Wert auf den Austausch privater Informationen legen, verzichte ich darauf, Ihnen zu sagen, warum ich so viel über Libellen weiß.«
Arschloch ! Das kleine Kompliment war Paulas Art, sich für ihre Ruppigkeit zu entschuldigen. Aber wenn er das nicht annehmen wollte: bitte sehr. »Ich sehe, Sie haben meine Prämisse für gute Zusammenarbeit begriffen.«
Für den Rest der Fahrt schwiegen sie.
Nachdem die beiden Beamten seine Agentur verlassen hatten, wartete Marco Severin so lange, bis er sicher war, dass
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