Snow Angel
könne, schon gestern versucht habe, ihn aus dieser „entsetzlichen Notlage“, aus diesem „grauenvollen Schnee“ zu retten, aber erst heute den Förster erwischt habe, um den „liebsten Simon“ zu befreien.
Die Peinlichkeit muss sie sich nicht geben. Nina flieht an der klammernden Lizzy und dem sprachlosen Simon vorbei zu dem einzigen Menschen, der ihr momentan vernünftig erscheint.
Der Förster ist ausgestiegen und beobachtet schmunzelnd die Szenerie. Nina stellt sich dem alten Herrn vor, fasst in knappen Sätzen die Lage zusammen. Komplett, vom Moment ihres Absturzes bis zur gegenwärtigen Situation! Der Schlag, den Simon dem Alten versetzt hat, hat Nina so beeindruckt, dass sie betont, es müsse unbedingt ein Arzt hergerufen werden. Körperliche Gewalt hat sie schon immer furchtbar erschreckt.
Er nickt nur verstehend und hat bereits per Funk einen Notruf abgesetzt, ehe sich der „liebste Simon“ überhaupt von Lizzy lösen kann. Der Bitte Ninas, sie jetzt zu ihrem Auto hinunter zu bringen, kann er aber nicht folgen. „Tue ich gern, Mädel. Aber erst werden wir die Ankunft der Polizei abwarten müssen. Die brauchen doch Ihre Aussage.“
Immerhin kann Nina die Wartezeit in seinem Wagen verbringen. Sie versucht, sich mit einer ihrer beiden übrig gebliebenen Zigaretten zu beruhigen. Der Förster sieht sie mitleidig an. Der väterliche Blick tut ihr gut und obwohl er nicht viel spricht, genügt ihr schon allein seine pure Anwesenheit, sich aufgehoben zu fühlen. Angestrengt bemüht sie sich, den Blick von Lizzy und Simon abgewandt zu halten. Dass sich zwischen den beiden ein ausgewachsener Zoff abspielt, ist an Tonlage und Gestik leicht zu erkennen.
Nichts wie weg hier!
Hoffentlich ist die Polizei bald da!
Lange muss sie sich nicht mehr gedulden. Fast gleichzeitig treffen Rettungswagen, Notarzt und Polizei ein. Der kleine Platz vor der Hütte ist so vollgeparkt, dass Lizzy, die sich mit wutverzerrtem Gesicht von Simon abgewandt hat und entschlossenen Schrittes auf ihren Mercedes zueilt, Schwierigkeiten haben wird, einen halbwegs würdevollen Abgang hinzulegen. Sie steigt ein, hupt ausdauernd und impertinent, will sich Platz verschaffen. Nina tauscht mit dem Förster einen bedeutungsvollen Blick. Beide können sich ein Grinsen nicht verkneifen.
„Ganz ehrlich, Mädchen: Was der junge Doktor Simon mit dieser Schnepfe wollte, konnte ich nie nachvollziehen. Sie ist ja das komplette Gegenteil zu seiner vorigen ...“
Der Mann bricht ab, als er sieht, wie sich Ninas Gesicht schmerzhaft verzieht.
„Oh, bitte um Entschuldigung, ich wusste ja nicht …! Bloß nicht wieder weinen!“, murmelt er bedauernd. Nina schüttelt nur den Kopf, dreht das Gesicht weg, will nicht, dass er sieht, wie ihr schon wieder die Tränen kommen.
„Wird schon alles wieder gut“, versucht er zu trösten.
Sieht man mir das sofort an, was mit mir los ist? Ich muss mich verdammt zusammenreißen! Schnepfe! Genau! Wenn es nur die wäre, DEN Kampf hätte ich leicht aufnehmen können!
Der Rettungswagen fährt gerade etwas dichter an die Haustür heran und eine knappe Lücke tut sich zwischen den dicht gedrängt stehenden Autos auf. Lizzy gibt Gas, dass der Schnee fliegt, läuft beinahe Gefahr, sich festzufahren und verschwindet in beachtlichem Tempo.
„Weg! Die zumindest wird Ihnen keinen Ärger mehr machen“, grinst der Förster.
Nina fühlt ein kleines Empören in sich aufsteigen, fragt sich ob sie wirklich so gläsern durchsichtig wirkt, denkt kurz über eine Erwiderung nach und hält dann doch lieber den Mund.
12. Kapitel
In welch unglücklichem Zustand sich das junge Mädchen gerade befindet, erkennt die erfahrene Polizeihauptmeisterin Peter sofort. Sie lässt Decken bringen, holt sie zu sich in den Einsatzwagen, bietet ihr Tee aus einer Thermoskanne an, den Nina gerne annimmt. Schlotternd lässt sie sich von dem freundlichen Notarzt untersuchen. „Körperlich ist alles okay mit ihr“, nickt er der Polizistin zu. „Sie braucht bloß dringend Ruhe. Dann wird sie auch aufhören zu klappern. Sind nur die Nerven. Sehen Sie zu, dass sie nach Hause kommt und möglichst nicht allein ist!“
*
Mehr als das Aufnehmen ihrer Personalien muss sie vorläufig nicht über sich ergehen lassen. Ein paar Mal bittet sie sehr eindringlich, dass niemand erfahren soll, wie sie heißt und wo sie wohnt.
„Wir geben Ihre Daten sowieso nicht weiter! Das widerspräche jeder Dienstvorschrift. Machen Sie sich
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