Snow Angel
zutraut.
Die heiße Dusche tut unendlich gut. Ausgiebig wäscht sie sich die Haare, verteilt eine halbe Handvoll Spülung in dem verfilzten Ansatz im Nacken, denkt ein bisschen wehmütig an ihr Bad in der Hütte zurück. Ein bisschen wehmütig? Nein! Mehr! Erheblich mehr als nur ein bisschen! Sie lässt sich Zeit, cremt sich sorgfältig ein, zieht einen bequemen Jogginganzug an. Nina steht vor dem großen Spiegel am Waschbecken und putzt sich gründlich die Zähne
.
Wie großartig Zähneputzen sein kann!
Entsetzt fällt ihr Blick auf den Zahnputzbecher.
Scheiße!
Schleunigst nimmt Nina ihre Pille. Die Packung steckt immer im Becher. Sie vergisst sie eigentlich nie.
Das wär' s jetzt auch noch!
Ihr wird heiß und kalt. Es ist Sonntagnachmittag. Ein kurzer Besuch bei der Frauenärztin? Ausgeschlossen! Sie wird abwarten müssen.
Als sie sauber und duftend die Badezimmertür öffnet, kommt ihr nun gemütliche Wärme entgegen.
Eins muss man ihm ja lassen: Er hat mich nie frieren lassen. Ach Manno!
Jenny empfängt sie mit einem schön gedeckten Tisch vor der einladenden Sitzgarnitur im Wohnzimmer. Sie schiebt Nina in die Kuschelecke, deckt sie mit einer Wolldecke zu.
„Was soll ich dir draufmachen? Schinken, Käse, Wurst?“
Nina muss lachen. „Du bist wie eine Mutter zu mir. Gib mir Käse, Mama.“
„Iss und dann erzähl mir!“
Schnell beginnt sie sich wohler zu fühlen. Das Zittern lässt langsam nach und sie kann sich etwas entspannen. Nina erzählt von Anfang an. Kein Detail, keine noch so nebensächlich erscheinende Kleinigkeit lässt sie aus. Und sie nimmt kein Blatt vor den Mund, als es um ihre Gefühle zu Simon geht. Jenny tut, was gute, wirklich gute Freundinnen tun. Sie hört zu. Nur ein paar Mal ist sie zwischendurch aufgestanden, hat etwas zu trinken geholt, hat für beide Zigaretten besorgt. Es ist längst dunkel geworden, als Jenny Licht macht und Nina ihre Geschichte mit den Worten beendet: „Und nun ist alles vorbei!“
Die Reaktion der Freundin hatte sie ganz gewiss nicht erwartet. Jenny sieht sie an und beginnt sie auszulachen.
„Es ist alles vorbei? So einen guten Witz habe ich lange nicht gehört!“
Nina ist beleidigt und sieht Jenny stinkig an, bis die langsam wieder ernst wird.
„Deine Geschichte, meine Süße, ist unglaublich. So was passiert eigentlich nur in Büchern. Oder im Fernsehen, nicht? Darüber gibt es gar nichts zu lachen. Höchstens zu staunen. Aber deine Schlussfolgerung, es wäre jetzt alles vorbei, die ist wirklich brüllend komisch. Hast du dich mal von ihm reden hören? Kannst du dir so ungefähr vorstellen, was du für einen Gesichtsausdruck bekommst? Wie deine Augen glänzen? Und DU willst mir was von 'vorbei' erzählen? Vergiss es doch! Da ist gar nichts vorbei! Das war nur der Anfang!“
„Bestenfalls der Anfang vom Ende!“, antwortet Nina mit düsterer Grabesstimme.
„Nö!“
„Wieso 'nö'?“ Nina ist nicht danach, Hoffnungen eingepflanzt zu bekommen. Nina ist danach, sich in Schmerz zu ergehen. Und irgendwie, irgendwo ist sie dann doch sehr geneigt, Argumente für ihre Liebe zu hören. Und sei es nur, um dann in noch tieferen Schmerz abrutschen zu können.
Jenny grinst. „Hör zu, Schnuckelhäschen: Ich kenne dich nun schon seit über zehn Jahren. Und ich habe jede deiner Lovestorys erlebt. Niemals zuvor habe ich dich so gesehen! Du bist unendlich verliebt. Du wirst umkommen, unrettbar untergehen, wenn du an dieser Stelle versuchst, einen Schlusspunkt zu setzen. Glaub' s mir. Ich weiß, wovon ich rede!“
„Aber ich kann ihn nicht haben! Er ist besetzt! Laura ...“
Jenny denkt einen Augenblick nach. Sie scheint ihre Argumente zu ordnen.
„Hast du dir eigentlich schon mal Gedanken darüber gemacht, was du von ihm verlangt hast?“
„Wie, was ich von ihm verlangt habe? Gar nichts habe ich von ihm verlangt!“ Nina ist empört.
„Doch, du hast nach zwei Tagen von ihm verlangt, dass er sich für dich entscheiden soll.“
„Habe ich nicht!“
„Hast du doch! Du hast von ihm erwartet, dass er dir dasselbe sagen muss, was du ihm gesagt hast. Nämlich, dass er dich liebt. So was sagen Männer nicht mal eben so!“
„Ich hab' s ihm doch auch gesagt!“
„Erstens hast du es ihm gesagt um ihn aus der Reserve zu locken, die er ja wohl eigentlich durchaus nicht verlassen wollte, wenn ich dich richtig verstanden habe, nicht?“
„Ja.“
„Und zweitens gibt es zwischen dir und ihm einen
Weitere Kostenlose Bücher