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So finster die Nacht

So finster die Nacht

Titel: So finster die Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Ajvide Lindqvist
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behauptest.«
    Sie sah ihn lange an. Dann schüttelte sie den Kopf.
    »Ich will nicht.«
    »Und warum nicht?«
    »Rate mal.«
    Oskar sank tiefer in seinen Sessel, fühlte unter der Handfläche den kleinen Hügel, den die Geldscheine in seiner Hosentasche bildeten, sah die Reklamestapel vor sich, die heute Morgen gekommen waren und bis Dienstag ausgeteilt werden mussten. Graue Müdigkeit im Körper. Grau im Kopf. Zorn. »Rate mal.« Noch mehr Spiele, noch mehr Lügen. Er wollte gehen. Schlafen.
    Das Geld. Sie hat mir Geld gegeben, damit ich bleibe.
    Er stand aus dem Sessel auf, holte das zerknitterte Bündel Papier aus der Tasche, legte alles außer einem Hunderter auf den Tisch, schob den Hunderter in seine Tasche zurück und sagte: »Ich gehe nach Hause.«
    Sie lehnte sich vor, packte sein Handgelenk. »Bleib. Bitte.«
    »Warum sollte ich? Du lügst doch nur.«
    Er versuchte sich von ihr zu entfernen, aber der Griff um sein Handgelenk wurde fester.
    »Lass mich los!«
    »Ich bin kein Zirkusmonster!«
    Oskar biss die Zähne zusammen, sagte ruhig. »Lass mich los.«
    Sie ließ nicht los. Der kalte Bogen aus Wut in Oskars Brust begann zu vibrieren, zu singen, und er stürzte sich auf sie. Er warf sich auf sie und presste sie in die Couch zurück. Sie wog fast nichts, und er presste sie gegen die Armlehne der Couch und setzte sich auf ihre Brust, während der Bogen sich spannte, schüttelte, schwarze Punkte vor seine Augen streute, als er den Arm hob und ihr mit voller Wucht ins Gesicht schlug.
    Er hockte auf ihrer Brust und blickte verwirrt auf ihren kleinen Kopf hinab, der im Profil auf dem schwarzen Couchleder lag, während eine große rote Blume auf ihrer Wange erschien, wo er sie getroffen hatte. Sie lag still, mit offenen Augen. Er strich sich mit den Händen übers Gesicht.
    »Entschuldige, Entschuldige. Ich …«
    Plötzlich warf sie sich herum, warf ihn von ihrer Brust ab, presste ihn gegen die Rückenlehne der Couch. Er versuchte ihre Schulter zu packen, griff jedoch ins Leere, bekam dann ihre Hüften zu fassen, sodass sie mit dem Bauch direkt auf seinem Gesicht landete. Er warf sie von sich und drehte sich herum, und sie versuchten beide, den anderen zu packen.
    Sie rollten auf der Couch herum und rangen miteinander. Mit angespannten Muskeln und großem Ernst, aber zugleich vorsichtig, damit keiner dem anderen wehtat. Sie wanden sich umeinander, stießen gegen den Tisch.
    Teile des schwarzen Eis fielen mit dem Geräusch von Sprühregen auf einem Blechdach zu Boden.
    *
    Er fuhr nicht noch einmal nach oben, um sich einen neuen Kittel zu holen. Seine Schicht war ja schon zu Ende.
    Das ist meine Freizeit, ich mache das nur aus Gefälligkeit.
    Er würde sich einen der Reservekittel der Obduzenten nehmen können, die im Kühlraum hingen, falls es … klebrig war. Der Aufzug kam, und er stieg ein und drückte auf Untergeschoss 2. Was sollte er tun, wenn es so war? Telefonieren und nachhören, ob einer aus der Ambulanz herunterkommen und die Wunde nähen konnte? Für Dinge dieser Art gab es kein Standardverfahren.
    Die Blutung, oder wie auch immer man es nennen sollte, hatte vermutlich aufgehört, aber er musste sich einfach vergewissern. Sonst würde er diese Nacht nicht ruhig schlafen können, wach liegen und es tropfen hören.
    Er lächelte in sich hinein, als er aus dem Aufzug trat. Wie viele normale Menschen wären wohl in der Lage, so etwas in Ordnung zu bringen, ohne Muffensausen zu bekommen? Nicht viele. Er war recht zufrieden mit sich, weil er … nun ja, seine Pflicht tat. Verantwortung übernahm.
    Ich bin wohl schlicht und ergreifend nicht normal.
    Und das ließ sich nicht leugnen: Es gab in ihm etwas, das hoffte … tja, dass es weitergeblutet hatte; dass er in der Ambulanz anrufen müsste und es ein bisschen Theater geben würde. So gerne er auch heimfahren und schlafen wollte. Denn auf die Art würde eine noch bessere Story daraus werden.
    Nein, er war vermutlich wirklich nicht normal. Mit Leichen hatte er keinerlei Probleme, sie waren für ihn Servicemaschinen mit erloschenen Gehirnen. Was ihn hingegen ein wenig aus dem Konzept bringen konnte, waren diese Korridore.
    Der bloße Gedanke an dieses Netzwerk aus Tunneln zehn Meter unter der Erde, die leeren Säle und Räume, die wie eine Art Verwaltungsabteilung in der Hölle waren. So groß. So still. So leer.
    Die Leichen sind im Vergleich dazu das blühende Leben.
    Er tippte den Code ein und drückte aus alter Gewohnheit den Türöffner, der jedoch nur

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