So finster die Nacht
einen Gegenstand auf, der aussah wie ein schwarzes Ei, und überreichte ihn Oskar, der sich vorlehnte und ihn unter die Lampe hielt, um besser sehen zu können.
Die Oberfläche des Eis war rau, und als Oskar es näher betrachtete, sah er, dass darauf hunderte komplizierter Windungen aus Golddrähten verliefen. Das Ei war schwer, so als wäre es aus irgendeinem Metall gefertigt. Oskar drehte das Ei und sah, dass die Goldfäden in flachen Furchen in der Oberfläche des Eis versenkt lagen. Eli stellte sich neben Oskar, und er nahm von Neuem diesen Geruch wahr … den Geruch von Rost.
»Was meinst du, wie viel ist es wert?«
»Keine Ahnung. Viel?«
»Es gibt nur zwei davon. Hätte man beide, würde man sie verkaufen und sich zum Beispiel ein Atomkraftwerk kaufen können.«
»Nee …?«
»Tja, ich weiß nicht. Was kostet denn so ein Atomkraftwerk? Fünfzig Millionen?«
»Ich glaube, das kostet … Milliarden.«
»Aha. Nein, dann geht das wohl doch nicht.«
»Was willst du denn mit einem Atomkraftwerk?«
Eli lachte auf.
»Leg es zwischen deine Hände. So. Und dann rollst du es zwischen den Händen.«
Oskar befolgte Elis Anweisungen. Vorsichtig rollte er das Ei zwischen seinen gewölbten Händen und spürte, wie das Ei … zersprang, auf seine Handfläche verteilt wurde. Er stöhnte auf und nahm die obere Hand fort. Das Ei war nur noch ein Haufen hunderter … tausender Scherben in seiner Hand.
»Entschuldige! Ich war vorsichtig, ich …«
»Psst. Das soll so sein. Pass nur auf, dass du kein Teil verlierst. Leg sie da drauf.«
Eli zeigte auf ein weißes Blatt, das auf dem Couchtisch lag. Oskar hielt den Atem an, als er behutsam die glitzernden Splitter aus seiner Hand fallen ließ. Die einzelnen Teile waren kleiner als Wassertropfen, und Oskar musste mit den Fingern der anderen Hand über den Handteller streichen, damit alle herabfielen.
»Aber es ist doch kaputtgegangen.«
»Hier. Schau her.«
Eli zog die Lampe näher an den Tisch heran, konzentrierte ihren matten Lichtschein über dem Haufen aus Metallstückchen. Oskar beugte sich hinab und schaute. Ein Teilchen, nicht größer als eine Zecke, lag alleine neben dem Splitterhaufen, und als er ganz nahe heranging, konnte er erkennen, dass es an einigen Stellen Zacken und Furchen hatte, an anderen fast mikroskopisch kleine, glühbirnenförmige Ausbuchtungen. Er begriff.
»Es ist ein Puzzle.«
»Ja.«
»Aber … kannst du es wieder zusammensetzen?«
»Ich denke schon.«
»Das muss doch ewig dauern.«
»Ja.«
Oskar betrachtete weitere Teile, die neben dem Haufen verstreut lagen. Auf den ersten Blick schienen sie mit dem ersten Teil identisch zu sein, aber wenn man genauer hinsah, erkannte man, dass es kleine Variationen gab. Die Furchen saßen nicht genau an der gleichen Stelle, die Ausbuchtungen verliefen in einem anderen Winkel. Er sah auch ein Teil, das abgesehen von einer haardünnen Borte aus Gold eine glatte Seite hatte. Ein Teil des äußeren Rands.
Er ließ sich in einen Sessel fallen.
»Ich würde wahnsinnig werden.«
»Stell dir erst einmal den vor, der es gemacht hat.«
Eli verdrehte die Augen und streckte die Zunge heraus, sodass sie aussah wie der eine Zwerg aus dem Schneewittchenfilm von Disney. Oskar lachte. Ha-ha. Das Geräusch blieb in der Luft, vibrierte zwischen den Wänden. Trostlos. Eli setzte sich im Schneidersitz auf die Couch, sah ihn … erwartungsvoll an. Er wich ihrem Blick aus und betrachtete die Tischplatte, eine Ruinenlandschaft aus Spielzeug.
Trostlos.
Er war auf einmal wieder so müde. Sie war nicht »seine Freundin«, konnte es nicht sein. Sie war … etwas anderes. Es gab eine große Distanz zwischen ihnen, die sich nicht … er schloss die Augen und lehnte sich im Sessel zurück, und das Schwarze hinter seinen Lidern war der weite Raum, der sie voneinander trennte.
Er schlummerte ein, glitt in einen Sekundentraum.
Der Raum zwischen ihnen füllte sich mit hässlichen, klebrigen Insekten, die auf ihn zuflogen, und als sie näher kamen, sah er, dass sie Zähne hatten. Er fuchtelte mit der Hand, um sie zu verscheuchen, und wachte auf. Eli saß auf der Couch und betrachtete ihn.
»Oskar. Ich bin ein Mensch genau wie du. Stell dir einfach vor, dass ich … eine sehr ungewöhnliche Krankheit habe.«
Oskar nickte.
Ein Gedanke wollte sich einstellen. Irgendetwas. Ein Zusammenhang. Aber er bekam ihn nicht zu fassen, ließ ihn fallen. Daraufhin stellte sich jedoch dieser andere Gedanke wieder ein, der grauenhafte.
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