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So finster die Nacht

So finster die Nacht

Titel: So finster die Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Ajvide Lindqvist
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mit einem hilflosen Klicken reagierte. Also drückte er die Tür von Hand auf, betrat den Kühlraum und zog sich ein Paar Gummihandschuhe an.
    Was war denn jetzt los?
    Der Mann, den er mit einem Tuch bedeckt verlassen hatte, lag nun nackt. Sein Penis war steif, erhob sich schräg abstehend vom Unterleib. Das Tuch lag auf dem Fußboden. Benkes Raucherluftröhre pfiff, als er nach Luft schnappte.
    Der Mann war nicht tot. Nein. Er war nicht tot … denn er bewegte sich.
    Langsam, gleichsam träumend wand er sich auf der Bahre. Seine Hände tasteten blind umher, und Benke trat instinktiv einen Schritt zurück, als eine von ihnen – sie sah nicht einmal aus wie eine Hand – an seinem Gesicht vorbeistrich. Der Mann versuchte sich aufzurichten, fiel auf die Stahlpritsche zurück. Das einsame Auge blickte ohne zu zwinkern ins Leere.
    Ein Laut. Der Mann gab einen Laut von sich.
    »Eeeeeeeeee …«
    Benke strich sich mit der Hand über das Gesicht. Irgendetwas war mit seiner Haut geschehen. Seine Hand fühlte sich … er sah sie an. Die Gummihandschuhe.
    Hinter der Hand sah er den Mann einen weiteren Versuch machen, sich aufzurichten.
    Was zum Teufel soll ich nur tun?
    Erneut fiel der Mann mit einem gedämpften Knall auf die Pritsche zurück. Einige Tropfen Flüssigkeit spritzten auf Benkes Gesicht. Er versuchte sie mit dem Gummihandschuh fortzuwischen, verschmierte sie jedoch nur.
    Er zog einen Hemdzipfel hoch, wischte sich damit ab.
    Zehn Stockwerke. Er ist zehn Stockwerke tief gefallen.
    Okay. Okay. Du hast hier eine ganz bestimmte Situation. Bewältige sie.
    Wenn der Mann nicht tot war, musste er doch zumindest im Sterben liegen und benötigte dringend ärztliche Hilfe.
    »Eeeee …«
    »Ich bin hier. Ich werde Ihnen helfen. Ich bringe Sie in die Ambulanz. Versuchen Sie, still zu liegen, ich werde …«
    Benke trat vor und legte seine Hände auf den widerspenstigen Körper. Die nicht deformierte Hand des Mannes schoss vor und packte Benkes Handgelenk. Verdammt, wie viel Kraft er doch trotz allem noch hatte. Benke benötigte beide Hände, um sich aus dem Griff des Mannes befreien zu können.
    Das Einzige, womit er den Mann zudecken konnte, um ihn zu wärmen, waren Leichentücher. Benke nahm drei Stück und bedeckte mit ihnen den Körper, der sich unablässig wand wie ein Wurm am Haken, während er stetig diesen Laut ausstieß. Benke lehnte sich über den Mann, der ein wenig zur Ruhe gekommen war, seit Benke die Tücher über ihn gebreitet hatte.
    »Ich bringe Sie jetzt auf dem schnellsten Weg in die Ambulanz, okay? Versuchen Sie, still zu liegen.«
    Er schob die Bahre zur Tür und erinnerte sich trotz der Umstände daran, dass der Türöffner nicht funktionierte. Er ging um das Kopfende der Bahre herum und öffnete die Tür, blickte auf den Kopf des Mannes hinab, wünschte sich, es nicht getan zu haben.
    Der Mund, der kein Mund war, öffnete sich.
    Das halbverheilte Wundgewebe wurde mit einem Laut aufgerissen wie beim Abhäuten eines Fisches, einzelne Striemen hellroter Haut weigerten sich zu reißen, wurden gedehnt, als sich das Loch in der unteren Gesichtshälfte vergrößerte, weiter vergrößerte.
    »AAAAAA!«
    Der Schrei hallte durch die leeren Korridore, und Benkes Herz schlug schneller.
    Lieg still! Sei still!
    Hätte er in diesem Moment einen Hammer in der Hand gehabt, wäre das Risiko groß gewesen, dass er mit ihm auf diese widerwärtige, zitternde Masse mit dem starrenden Auge eingeschlagen hätte, in der die Hautstriemen über der Mundhöhle nun rissen wie zu stark gespannte Gummibänder, sodass Benke die Zähne des Mannes zwischen all dem Roten, Braunen, Nässenden, das sein Gesicht war, weiß leuchten sah.
    Benke kehrte zum Fußende der Bahre zurück und begann, sie durch die Korridore zum Aufzug zu schieben. Er lief halb und hatte höllische Angst, der Mann könnte sich umdrehen und von der Bahre fallen.
    Die Korridore schienen sich wie in einem Albtraum schier endlos vor ihm zu erstrecken. Ja. Das Ganze war wie ein Albtraum. Alle Gedanken an eine »gute Story« waren wie weggeblasen. Er wollte nur noch dorthin gelangen, wo es andere Menschen gab, lebende Menschen, die ihn von diesem Monster befreien konnten, das auf der Bahre lag und schrie.
    Er erreichte den Aufzug und drückte den Knopf, der ihn herabholte, vergegenwärtigte sich innerlich den Weg zur Ambulanz. In fünf Minuten würde er dort sein.
    Schon im Erdgeschoss würde es andere Menschen geben, die ihm beistehen konnten. Noch zwei Minuten, und er

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