So finster die Nacht
Dass Eli sich nur verstellte und in ihrem Inneren ein uralter Mensch hockte, ihn betrachtete, alles wusste, insgeheim höhnisch lächelte.
Das geht nicht.
Um irgendetwas zu tun, holte er den Walkman aus seiner Tasche, nahm die Kassette heraus, las den Text: »Kiss: Unmasked«, drehte sie um, »Kiss: Destroyer«, legte sie wieder ein.
Ich sollte nach Hause gehen.
Eli lehnte sich auf der Couch vor.
»Was ist das?«
»Das hier? Ein Walkman.«
»Ist das zum … Musik hören?«
»Ja.«
Sie weiß nichts. Sie ist superintelligent und weiß nichts. Was macht sie den ganzen Tag? Schlafen natürlich. Wo hat sie den Sarg? Ja, genau. Sie schlief nie, wenn sie bei mir war. Sie lag einfach nur in meinem Bett und wartete darauf dass es hell wurde. Mein Leben heißt jetzt gehen …
»Darf ich ihn ausprobieren?«
Oskar reichte ihr den Walkman. Sie nahm ihn, schien nicht zu wissen, was man damit anstellen sollte, setzte dann jedoch den Kopfhörer auf, sah ihn fragend an. Oskar zeigte auf die Knöpfe.
»Drück den Knopf, auf dem ›play‹ steht.«
Eli suchte nach dem richtigen Knopf, drückte auf »play«. Oskar fühlte eine Art innerer Ruhe. Das war etwas ganz Normales; einem Freund Musik vorspielen. Er fragte sich, wie Eli Kiss gefallen würde.
Sie drückte auf »play«, und Oskar konnte noch von seinem Sessel aus das verzerrte, raunende Scheppern von Gitarre, Schlagzeug, Stimme hören. Sie war mitten in einem der rockigeren Stücke gelandet.
Eli riss die Augen auf und schrie vor Schmerz, und Oskar erschreckte sich so, dass er sich nach hinten gegen die Rückenlehne des Sessels warf. Er wippte, kippte fast nach hinten, während er sah, wie Eli sich den Kopfhörer so heftig von den Ohren zerrte, dass die Kabel abgerissen wurden, ihn von sich warf, die Hände auf die Ohren presste, wimmerte.
Oskars Mund stand offen, und er betrachtete den Kopfhörer, der gegen die Wand geflogen war. Er ging hin, hob ihn auf. Er war kaputt. Beide Kabel hatten sich von den Hörermuscheln gelöst. Er legte ihn auf den Tisch und sank wieder in den Sessel.
Eli nahm die Hände von den Ohren.
»Entschuldige, ich … das hat so wehgetan.«
»Das macht nichts.«
»War er teuer?«
»Nein.«
Eli hob den obersten Umzugskarton herab, steckte die Hand hinein, holte ein paar Geldscheine heraus und hielt sie Oskar hin.
»Hier.«
Er nahm die Geldscheine entgegen, zählte sie. Drei Tausender und zwei Hunderter. Er empfand fast so etwas wie Angst, betrachtete den Karton, aus dem sie die Geldscheine genommen hatte, dann Eli, anschließend wieder die Geldscheine.
»Ich … er hat fünfzig Kronen gekostet.«
»Nimm es trotzdem.«
»Ja aber, das … es ist doch nur der Kopfhörer kaputtgegangen, und den …«
»Ich schenke es dir. Bitte.«
Oskar zögerte, stopfte dann die Geldscheine in die Hosentasche, während er sie in Reklamezettel umrechnete. Ungefähr ein Jahr von Samstagen, ungefähr … fünfundzwanzigtausend ausgeteilte Zettel. Hundertundfünfzig Stunden. Mehr. Ein Vermögen. Die Geldscheine kratzten ein wenig in der Tasche.
»Tja dann, danke.«
Eli nickte und nahm etwas vom Tisch, das ein verwickeltes Knäuel aus Knoten zu sein schien, vermutlich jedoch ein Puzzle war. Oskar beobachtete sie, während sie an den Knoten zupfte. Der gebeugte Nacken, ihre langen schmalen Finger, die über die Fadenenden strichen. In Gedanken ging er noch einmal alles durch, was sie ihm erzählt hatte. Ihr Vater, die Tante in der Stadt, die Schule, in die sie ging. Alles nur Lug und Trug.
Und woher hatte sie das viele Geld? Geklaut?
Das Gefühl war so ungewohnt, dass er anfangs nicht begriff, was es war. Es begann wie eine Art Kribbeln in der Haut, verbreitete sich ins Fleisch, schlug dann einen scharfen, kalten Bogen vom Bauch in den Kopf. Er war … wütend. Nicht verzweifelt oder ängstlich, sondern wütend.
Weil sie gelogen hatte und dann … wem hatte sie dieses Geld eigentlich geklaut? Jemandem, den sie …? Er faltete die Hände auf dem Bauch, lehnte sich zurück.
»Du tötest Menschen.«
»Oskar …«
»Wenn das alles wahr ist, musst du doch Menschen töten. Ihr Geld klauen.«
»Das Geld habe ich geschenkt bekommen.«
»Du lügst immer nur. Die ganze Zeit.«
»Das ist wahr.«
»Was ist wahr? Dass du lügst?«
Eli legte das Knotenknäuel auf den Tisch, sah ihn mit gequälten Augen an, breitete die Hände aus. »Was willst du, was soll ich tun?«
»Gib mir einen Beweis.«
»Wofür?«
»Dafür, dass du bist … was du zu sein
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