So finster die Nacht
ersten richtigen Vororte mit dreistöckigen Mietshäusern waren bereits in Traneberg und Abrahamsberg errichtet worden, und der Staat hatte in westlicher Richtung große Areale Land angekauft, um binnen weniger Jahre mit dem Bau der Orte zu beginnen, die später Vällingby, Hässelby und Blackeberg heißen sollten.
Zu all diesen Orten bildete die Tranebergbrücke einen Brückenkopf. Fast alle, die zu den westlichen Vororten wollen oder aus ihnen kommen, nehmen den Weg über die Tranebergbrücke.
Schon in den sechziger Jahren gab es alarmierende Berichte darüber, dass die Brücke auf Grund des starken Verkehrsaufkommens, das sie belastete, langsam, aber sicher verwitterte. Man renovierte und verstärkte mehrfach, aber der große Um- und Neubau, von dem gelegentlich die Rede war, lag noch in weiter Zukunft.
Am Morgen des 8. November 1981, eines Sonntags, sah die Brücke folglich müde aus. Ein verlebter Greis, der traurig über die Zeiten nachsann, in denen der Himmel heller und die Wolken leichter waren und er die größte Betonbrücke in einem Brückenbogen auf der ganzen Welt war. Seit den frühen Morgenstunden hatte es getaut, und Schneematsch lief in die Risse der Brücke. Man wagte es nicht, Salz zu streuen, weil dies den betagten Beton noch zusätzlich zerfressen hätte.
Um diese Uhrzeit herrschte nicht viel Verkehr, vor allem nicht an einem Sonntagmorgen. Die Bahnen hatten ihren Nachtbetrieb eingestellt, und die wenigen Autofahrer, die über die Brücke fuhren, sehnten sich entweder ins Bett oder wieder zurück ins Bett.
Benny Melin bildete eine Ausnahme. Okay, natürlich sehnte auch er sich allmählich nach seinem Bett, würde vermutlich jedoch zu glücklich sein, um schlafen zu können.
Acht Mal hatte er sich über Kontaktanzeigen mit verschiedenen Frauen getroffen, aber Betty, mit der er sich am Samstagabend verabredet hatte, war die erste … ja, die erste, bei der es »Klick« gemacht hatte wie beim König, als er Sylvia begegnete.
Es würde sich etwas entwickeln. Das wussten sie beide.
Gemeinsam hatten sie darüber gelacht, wie lächerlich das klingen würde: »Benny und Betty«. Wie zwei Komiker, die zusammen auftraten, aber was sollte man da machen? Und wenn sie Kinder bekamen, wie würden sie die Kleinen taufen? Lenny und Netty?
Ja, sie hatten wirklich viel Spaß zusammen gehabt. In ihrer Bude auf Kungsholmen gehockt und sich gegenseitig von ihren Welten erzählt und mit recht gutem Ergebnis versucht, aus diesen ein gemeinsames Puzzle zu legen. In den frühen Morgenstunden hatte es im Grunde nur noch zwei Möglichkeiten gegeben, was sie als Nächstes tun konnten.
Und Benny hatte getan, was er für das Richtige hielt, auch wenn es ihm schwer gefallen war. Er hatte sich mit dem Versprechen von ihr verabschiedet, dass sie sich am Sonntagabend wiedersehen würden, sich in sein Auto gesetzt und war Richtung Brommaplan nach Hause gefahren, während er aus vollem Hals »I can’t help falling in love with you« sang.
Benny war mit anderen Worten niemand, der noch über die nötige Energie verfügte, sich über den erbärmlichen Zustand der Tranebergbrücke an diesem Sonntagmorgen zu beklagen oder ihn auch nur zu bemerken. Immerhin war es die Brücke, die ihn ins Paradies führte, ins Reich der Liebe.
Er hatte gerade das Ende der Brücke auf der Tranebergsseite erreicht und zum vielleicht zehnten Mal den Refrain angestimmt, als die blaue Gestalt mitten auf der Fahrbahn im Scheinwerferlicht auftauchte.
Er konnte noch denken: Nicht bremsen!, ehe er vom Gas ging, den Lenker drehte und nach links rutschte, als zwischen ihm und dem Menschen noch ungefähr fünf Meter lagen. Er nahm flüchtig einen blauen Kittel und ein Paar weißer Beine wahr, ehe die linke Seite seines Wagens gegen die Betonbarriere zwischen den Fahrbahnen prallte.
Als das Auto gegen die Barriere und an ihr entlang gepresst wurde, war das Kreischen so laut, dass es alle anderen Geräusche übertönte. Der Rückspiegel wurde abgerissen und flog davon, und die Tür zu seiner Linken wurde eingedrückt, bis sie seine Hüfte berührte, ehe der Wagen wieder auf die Fahrbahn geschleudert wurde.
Er versuchte gegenzulenken, aber das Auto rutschte auf die andere Seite und schlug gegen die Absperrung vor dem Gehsteig. Der zweite Rückspiegel wurde abgeschlagen und flog über das Brückengeländer, wobei er das Licht der Brückenbeleuchtung in den Himmel reflektierte. Benny bremste vorsichtig, und der Wagen schleuderte nicht mehr ganz so
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