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So finster die Nacht

So finster die Nacht

Titel: So finster die Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Ajvide Lindqvist
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Körper trainieren.«
    Oskar nickte, und das Gefühl verschwand. Der Lehrer war in Ordnung, aber er würde es trotzdem niemals verstehen.
    »Jetzt ziehst du dich um, und ich zeige dir bisschen Technik an Scheibenhantel. Okay?«
    Ávila wandte sich um, ging in Richtung Lehrerzimmer, blieb vor der Tür stehen.
    »Und Oskar. Du brauchst dir keine Sorgen zu machen. Ich sage es niemandem, wenn nicht du willst. Gut? Nach dem Training können wir mehr reden.«
    Oskar zog sich um. Als er fertig war, kamen Patrik und Hasse, zwei Jungen aus der 6a. Sie grüßten Oskar, aber er hatte das Gefühl, dass sie ihn ein wenig zu lange ansahen, und als er in den Trainingsraum ging, hörte er sie flüstern.
    Er hatte ein flaues Gefühl im Bauch und bereute, dass er hergekommen war. Aber unmittelbar darauf kam der Lehrer, jetzt in einem T-Shirt und kurzer Hose, und zeigte ihnen, wie man der Scheibenhantel einen effektiveren Ruck geben konnte, indem man sie auf den Fingerspitzen ruhen ließ, und Oskar schaffte 28 Kilo; zwei Kilo mehr als beim letzten Mal. Ávila notierte die neue Rekordmarke in seinem Notizbuch.
    Weitere Jugendliche kamen hinzu, darunter auch Micke. Er lächelte wie üblich sein kryptisches Lächeln, das bedeuten konnte, er würde einem im nächsten Moment ein tolles Geschenk machen, genauso gut aber auch, dass er einem etwas Furchtbares antun würde.
     
    Letzteres war der Fall, auch wenn Micke die volle Tragweite seines Tuns nicht erfasste.
    Auf dem Weg zum Training hatte ihn Jonny abgefangen und um einen Gefallen gebeten, weil sich Jonny einen Scherz mit Oskar erlauben wollte. Das hörte sich in Mickes Ohren gut an. Er mochte Scherze. Außerdem war Mickes komplette Sammlung von Eishockeysammelbildern Dienstagabend verbrannt, weshalb er für einen kleinen Scherz auf Oskars Kosten gerne zu haben war.
    Doch bis auf Weiteres lächelte er.
     
    Das Training ging weiter. Oskar hatte das Gefühl, dass die anderen ihn komisch ansahen, aber sobald er versuchte, ihren Blicken zu begegnen, schauten sie weg. Er wäre am liebsten nach Hause gegangen.
    … nein … geh …
    Geh einfach.
    Aber Ávila behielt ihn im Auge und spornte ihn an, und so ergab sich irgendwie keine Möglichkeit zu gehen. Außerdem: Hier zu bleiben war auf jeden Fall besser, als zu Hause zu sein.
    Als Oskar seine Trainingseinheit beendet hatte, war er so erschöpft, dass er nicht einmal mehr die Kraft hatte, sich schlecht zu fühlen. Er ging, ein bisschen hinter den anderen zurückbleibend, in den Waschraum, duschte mit dem Rücken zum Raum. Nicht dass es eine Rolle gespielt hätte. Man ging anschließend ohnehin nackt schwimmen.
    Nach dem Duschen stand er eine Weile an der Glaswand zwischen Dusche und Becken, wischte ein Guckloch in den Kondensnebel, der das Glas bedeckte, betrachtete die anderen, die im Schwimmbassin umhertollten, sich hinterherjagten, einander Bälle zuwarfen. Und es überkam ihn wieder. Nicht als ein in Worten formulierter Gedanke, sondern als ein ungeheuer intensives Gefühl:
    Ich bin allein. Ich bin … ganz allein.
    Dann sah ihn der Lehrer, winkte ihm zu, er solle hereinkommen, ins Wasser springen. Oskar trottete die kurze Treppe hinunter, ging zum Beckenrand und schaute in das chemisch blaue Wasser hinab. Sein Körper fühlte sich zu keinem Sprung fähig, weshalb er Schritt für Schritt die Beckenleiter hinabstieg und sich vom einigermaßen kalten Wasser umschließen ließ.
    Micke saß auf dem Beckenrand, lächelte und nickte ihm zu. Oskar schwamm ein paar Züge auf seinen Lehrer zu.
    »Oskar!«
    Er sah den Ball aus den Augenwinkeln eine Sekunde zu spät heranfliegen. Er klatschte direkt vor ihm ins Wasser und spritzte ihm Chlorwasser in die Augen. Es brannte wie Tränen. Er rieb sich die Augen, und als er aufblickte, sah er den Lehrer, der ihn mit … mitleidiger? … Miene ansah.
    Oder verächtlicher.
    Vielleicht bildete er sich das auch nur ein, aber dennoch schlug er den Ball weg, der vor seiner Nase schaukelte und tauchte unter. Er ließ den Kopf unter die Wasseroberfläche gleiten, Haare umwogten kitzelnd seine Ohren. Er streckte die Arme aus und trieb mit dem Gesicht unter Wasser, mit dem Wasser schaukelnd. Spielte, er wäre tot.
    Dann könnte er hier bis in alle Ewigkeit treiben.
    Und müsste sich nie mehr aufrichten und den Blicken all jener begegnen, die ihm letzten Endes doch nur übel mitspielen wollten. Und die Welt wäre, wenn er schließlich seinen Kopf hob, verschwunden, und es gäbe nur noch ihn und ein großes

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