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So finster die Nacht

So finster die Nacht

Titel: So finster die Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Ajvide Lindqvist
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Formulierung.
    Er legte den Ring zurück, schloss die Holzkiste und stellte sie wieder in den Schrank. Er überlegte, ob Mama sich den Ring gelegentlich ansah, warum sie ihn aufbewahrt hatte. Immerhin war er aus Gold und bestimmt zehn Gramm schwer. Das hieß, dass er ungefähr vierhundert Kronen wert war.
    Oskar zog erneut Jacke und Mütze an, ging auf den Hinterhof hinaus. Es dämmerte bereits, obwohl es gerade erst vier Uhr war. Es war völlig ausgeschlossen, jetzt noch in den Wald zu gehen.
    Vor dem Haus ging Tommy vorbei und blieb stehen, als er Oskar sah.
    »Hi.«
    »Hi.«
    »Was liegt an?«
    »Ach nichts, ich habe Reklame ausgeteilt und … weiß nicht.«
    »Lohnt sich das?«
    »Geht so. Siebzig, achtzig Kronen. Jedes Mal.«
    Tommy nickte.
    »Willst du einen Walkman kaufen?«
    »Weiß nicht. Was denn für einen?«
    »Einen Sony. Für fünfzig Mäuse.«
    »Neu?«
    »Ja. In der Verpackung. Mit Kopfhörer. Fünfzig Mäuse.«
    »Ich hab kein Geld. Jetzt nicht.«
    »Du hast doch gesagt, du hättest siebzig, achtzig Mäuse verdient.«
    »Ja, aber ich bekomme mein Geld einmal im Monat. In einer Woche.«
    »Okay. Aber wie wär’s, wenn du ihn jetzt bekommst. Und dann bekomme ich das Geld, wenn du wieder welches hast.«
    »Ja …«
    »Okay. Geh runter, und warte da auf mich, dann gehe ich ihn holen.«
    Tommy machte eine Kopfbewegung in Richtung Spielplatz, und Oskar ging hinunter und setzte sich auf eine Bank, stand aber sofort wieder auf, ging zu dem Klettergestell und sah sich um. Kein Mädchen. Schnell ging er zurück zu der Bank und setzte sich, als hätte er etwas Verbotenes getan.
    Kurz darauf kam Tommy und gab ihm den Karton.
    »Fünfzig Mäuse in einer Woche, okay?«
    »Mm.«
    »Was hörst du denn so?«
    »Kiss.«
    »Welche hast du?«
    »Alive.«
    »Destroyer hast du nicht? Wenn du willst, kannst du sie dir leihen und aufnehmen.«
    »Ja, klasse.«
    Oskar hatte das Doppelalbum Alive von Kiss, hatte es sich vor ein paar Monaten gekauft, hörte es aber nie. Er sah sich vor allem die Bilder von den Konzerten an. Mit ihren geschminkten Gesichtern sahen sie wirklich super aus. Lebendige Horrorgestalten. Und »Beth«, bei dem Peter Criss Sänger war, gefiel ihm auch, aber die anderen Stücke waren ihm zu … sie hatten irgendwie keine Melodien. Vielleicht war Destroyer ja besser.
    Tommy stand auf und wollte gehen. Oskar hielt den Karton fest umklammert.
    »Tommy?«
    »Ja?«
    »Der Typ. Der da ermordet worden ist. Weißt du irgendwie … wie er ermordet wurde.«
    »Ja. Man hat ihn an einen Baum gehängt und ihm die Kehle aufgeschlitzt.«
    »Er wurde also nicht … erstochen? Der Mörder hat nicht irgendwie auf ihn eingestochen. Auf seinen Körper?«
    »Nein, nur eine einzige Wunde am Hals. Siiittt.«
    »Okay.«
    »Ist noch was?«
    »Nee.«
    »Bis bald.«
    »Ja.«
    Oskar blieb noch einen Moment auf der Bank sitzen, dachte nach. Der Himmel war dunkellila, der erste Stern – oder war es die Venus? – bereits deutlich zu sehen. Er stand auf und ging hinein, um den Walkman zu verstecken, bevor Mama nach Hause kam.
    Heute Abend würde er das Mädchen treffen, seinen Würfel zurückbekommen. Die Jalousien waren immer noch heruntergelassen. Wohnte sie dort wirklich? Was machte sie da drinnen nur den ganzen Tag? Hatte sie Freunde?
    Vermutlich nicht.
    *
    »Heute Abend …«
    »Was hast du denn gemacht?«
    »Mich gewaschen?«
    »Das tust du doch sonst nicht.«
    »Håkan, heute Abend musst du …«
    »Meine Antwort ist nein.«
    ---
    »Bitte?«
    »Es geht nicht um … Etwas anderes. Was immer es ist. Sag es, und ich tue es. Bedien dich um Himmels willen bei mir. Hier. Hier hast du ein Messer. Nicht. Okay, dann muss ich es wohl …«
    »Lass das!«
    »Aber warum denn? Lieber so als anders. Warum hast du dich gewaschen? Du riechst ja nach … Seife.«
    »Was willst du, was soll ich tun?«
    »Ich kann nicht!«
    »Nein.«
    »Was hast du vor?«
    »Ich werde selber gehen.«
    »Musst du dich deshalb waschen?«
    »Håkan …«
    »Ich helfe dir bei allem anderen. Was immer du willst, ich …«
    »Ja, ja. Schon gut.«
    »Verzeih mir.«
    »Ja.«
    »Sei vorsichtig. Ich – sei vorsichtig.«
    *
    Kuala Lumpur, Pnom Penh, Mekong, Rangun, Tschungking …
    Oskar betrachtete das Arbeitsblatt, das er gerade ausgefüllt hatte, eine Wochenendhausaufgabe. Die Namen sagten ihm nichts, sie waren nur Buchstabenklumpen. Es lag eine gewisse Befriedigung darin, sie im Atlas nachzuschlagen und zu sehen, dass es tatsächlich Städte und Flüsse an den Orten

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