So finster, so kalt
Nagel fand, klemmte die Innenecke des Kreuzes darunter und zog. Das Metall dehnte sich, aber es verbog nicht. Nach endlosem Ziehen, Drehen und Rucken löste sich der Nagel endlich aus dem Holz. Der Anfang war getan.
Nach einer gefühlten Ewigkeit schaffte es Hans, zwei Bretter des Verschlages zu lösen und sich durch den Spalt zu quetschen. Er befand sich in einem Stall, der jedoch nur Gerümpel und keine Tiere beherbergte. Draußen schien der Mond.
Trotz der Unsicherheit beugte Hans noch einmal das Knie und sprach ein kurzes Dankesgebet, bevor er das Kreuz küsste und es sich wieder um den Hals hängte. Die alte Frau hatte gelogen. Sie hatte ihn eingesperrt. Gott allein beschützte ihn.
Neben ihm war eine Tür, die vermutlich direkt ins Haus führte. Sie war verschlossen. Auf leisen Sohlen schlich Hans daher zur Stalltür hinaus und an der Außenwand des Hauses entlang. Immer wieder schaute er sich um und sicherte sich nach allen Seiten ab. Dieses Mal würde ihn niemand überraschen.
Endlich gelangte er an ein beleuchtetes Fenster und blickte hinein.
Das Erdgeschoss des Vorderhauses bestand nur aus einem großen Raum, in dessen Mitte sich wie üblich die große Esse befand. Dort wurde geheizt, gekocht und in dem großen Kamin geräuchert. Wie bei seinen Eltern hingen dort Wurst- und Fleischstücke. In der Esse jedoch brannte ein riesiges Feuer, viel zu groß, um darauf zu kochen. Die Frau musste dort einen halben Baum verbrennen. Hans konnte die Hitze im Raum bis an die Fensterscheiben spüren. Was für eine Verschwendung! Hans kniff die Augen zusammen, sah genauer hin, und der Anblick ließ ihm den Atem stocken. Die Alte stand mit dem Rücken zu ihm vor dem tanzenden Feuer und winkte in eine Ecke des Raumes. Von dort taumelte Greta heran, lief mit den gleichen wankenden Schritten wie auf der Lichtung auf das Feuer zu. Hans keuchte entsetzt auf. Wollte sie in die Esse steigen? Das musste er verhindern!
Er dachte nicht länger nach. Er rannte zur Haustür, stemmte sich dagegen, und der Türflügel krachte gegen die Wand. Mit zwei Sätzen war er durch den schmalen Flur und stürzte in die Stube.
Die Frau fuhr herum und hob sofort abwehrend die Hände. »Nein! Junge, warte, lass es dir erklären!«
Jetzt war keine Zeit für Erklärungen. Greta hatte bereits einen Fuß auf den Rand der Esse gesetzt und war im Begriff, in das Feuer zu klettern. Hans schrie auf. Das Mädchen reagierte nicht. Die Frau trat zwischen die beiden und versuchte Hans zu packen. Doch er hatte damit gerechnet und tauchte zur Seite weg. Im gleichen Moment stieß er sie aus dem Weg. Sie verlor den Halt und versuchte, sich am Rand der Esse abzustützen. Jetzt konnte Hans erkennen, dass der Rost über dem Feuer fehlte. Er blickte in den flammenden Schlund der Hölle. Dort wollte Greta hinein. Das durfte er nicht zulassen! Er machte noch einen Schritt, und zu spät bemerkte er, dass die Alte dabei war, in die Flammen zu stürzen. Hans riss Greta zurück und langte nach dem bunten Rock, der vor seinen Augen tanzte.
»Nicht!« Panisch riss er an dem Stoff. »Greta, hilf mir!«
Die Frau kreischte und schlug um sich. Dann kippte sie halb über den Rand der Esse nach hinten, und die Flammen leckten nach ihren Haaren. Der verbrannte Geruch breitete sich sofort im Raum aus und ließ Hans würgen. Doch noch hielt er die Vorderseite des Rockes und verhinderte, dass die Frau ganz ins Feuer fiel.
Im nächsten Moment krachte ein Holzstab auf Hans’ Handgelenke nieder. Ein, zwei und viele weitere Male. Der Schmerz und die Hitze trieben ihm die Tränen in die Augen und verschleierten seinen Blick. Er begriff nicht mehr, was vor sich ging. »Was tust du? In Gottes Namen, halt ein!« Er hielt die Frau eisern fest, doch ihre Schreie wurden bereits leiser. Dann traf der Stab, mit dem Greta auf ihn einschlug, so hart auf sein Handgelenk, dass der Knochen brach. Er ließ los.
Greta stieß ein Triumphgeheul aus.
Hans fiel auf den Hintern und wollte sich instinktiv mit der gebrochenen Hand abstützen. Der Schmerz zuckte den Arm hinauf bis in die Brust, und ihm wurde übel. Zugleich erfüllte der Gestank von verbranntem Fleisch den Raum. Die Schreie der Frau erstarben. Mit ihnen erlosch das infernalische Feuer.
Mühsam richtete Hans sich auf und wischte sich den Schweiß vom Gesicht. Sein ganzer Arm pochte. Er beugte sich über die Esse und erblickte nur noch leuchtend rote Glut. Wo war die Frau? Wie konnte das sein? So etwas gab es doch gar nicht!
Greta trat
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