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So fühlt sich Leben an (German Edition)

So fühlt sich Leben an (German Edition)

Titel: So fühlt sich Leben an (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hagen Stoll
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Nächstes das Messer in die Hand, zog es in einer wohlüberlegten, in Jahrzehnten einstudierten Prozedur über seine Wangen und stutzte zum Schluss gemächlich seine weißen Schnurrbarthaare– nicht der kleinste Handgriff vertrug Eile, für alles nahm er sich Zeit. Einzig bei seiner Kleidung legte er größte Sorglosigkeit an den Tag und ließ sich immer in den gleichen Arbeitsklamotten sehen, die Hose unweigerlich zwei Nummern zu groß und die Schiebermütze auf seinem gewaltigen Schädel speckig, vom Schweiß eines langen Arbeitslebens getränkt. Sein Hauptmerkmal aber waren die Sägespäne auf Hose und Jacke, denn Opa Ludwig war der Schreiner und Drechsler von Tarnow, und dort, in Tarnow bei Neubrandenburg, habe ich ihn regelmäßig in den Ferien für ein paar Tage besucht. Später, als seine Frau Alzheimer bekam und ein Pflegefall wurde, hat der Bruder meiner Mutter die beiden zu sich nach Eberswalde geholt, und weil er ohne seine Werkbänke nicht leben konnte, hat Opa Ludwig dort im Keller seine alte Werkstatt neu eingerichtet und einfach weitergemacht. Von nun an begegneten wir uns oft, denn unter seiner neuen Adresse war er für uns in einer Dreiviertelstunde zu erreichen.
    Und das war für mich das Höchste der Gefühle: am Wochenende draußen bei ihm zu sein. Der ganze Kellerraum war vollgestellt mit Gerätschaften, kleinen Maschinen und Drechselbänken, die über lange Lederriemen von einem Elektromotor angetrieben wurden, und mittendrin stand Opa Ludwig in einem Meer von Sägespänen, eingehüllt in den Lärm seines etwas altertümlichen Maschinenparks, hantierte mit Holzteilen, schmiss mal dieses, mal jenes Gerät an, ein weiterer Lederriemen raste los, die Kreissäge jaulte auf, neue Sägespäne wirbelten durch die Luft, und am Abend war ein Uhrenkasten, ein Stuhl, ein Tisch oder eine Kommode fertig. Dabei hatte er anfangs gar keine Kundschaft dafür. In seinem Dorf war er der Schreiner gewesen und hatte Schränke und Truhen auf Bestellung gebaut, in Eberswalde aber kannte ihn keiner. Trotzdem stand er unverdrossen Tag für Tag in seiner Werkstatt und produzierte auf Vorrat– oder einfach nur für sich, aus Leidenschaft, weil Tischlern eben sein Leben war. » Renn dem Geld nicht hinterher, mein Junge«, sagte er zu mir mit seiner dunklen Stimme, die aus grauer Vorzeit zu kommen schien. » Wenn du fleißig bist, kommt das Geld ganz von allein. Erfolg ist die zwangsläufige Folge von Fleiß. Und irgendwann kommen die Leute schon. Irgendwann will jeder was von dir.« Er sagte » meyn Jung« und » Fleyß«, so klang das in seiner pommerschen Mundart, und auf ihn trafen seine Worte tatsächlich zu. Nachdem der erste Uhrenkasten einen Abnehmer gefunden hatte, wurden seine Kunden immer zahlreicher, und schließlich war Opa Ludwig wieder im Geschäft.
    Ich verbrachte ganze Tage in seiner Werkstatt, stand mit offenem Mund dabei und wich ihm nicht von der Seite. Kein Gedanke mehr daran, mich in den Wäldern rumzutreiben, selbst mein Fahrrad war vergessen; solange ich ihm zusehen durfte, war ich vollkommen glücklich, und eh ich mich’s versah, reichte ich ihm was an, arbeitete ihm zu, sprang hier und da für ihn ein, und abends haben wir die Späne zusammengefegt und ins Feuer geworfen, draußen, wo wir unser Lagerfeuer hatten und noch lange beisammensaßen, Stullen über die Flammen hielten und angeregt große Dinge besprachen.
    Das war meine Welt. Ich mag den Geruch von frischem Holz sowieso, aber dabei zuzusehen, wie sich Holzklötze unter den Händen meines fleißigen Opas Ludwig in Kunstwerke verwandelten, hat mir richtig imponiert. Ohne alle Klugscheißerei hat er mir eine ganz neue Vorstellung von Arbeit vermittelt.
    Mein Vater forderte irgendeinen Beitrag, irgendeine Leistung von mir und hätte auch Zwang ausgeübt, wenn ich nicht freiwillig zu Diensten gewesen wäre. Bei Opa Ludwig warst du mit einem Mal dabei und mittendrin und hattest nicht mal mitbekommen, wie er dich rangekriegt hatte. Wahrscheinlich bin ich einfach dem Charme seiner Leidenschaft erlegen. Am Ende des Tages war ein Schrank oder ein Tisch fertig, dann hat er ihn hingestellt– » So, jetzt gucken wir uns das noch mal an, ob wir irgendwo einen Fehler finden«– und ist nötigenfalls mit Schleifpapier drübergegangen. Stets waren bei ihm Liebe, Sorgfalt, Hingabe im Spiel, selbst wenn er die Antriebsriemen mit Öl bestrich, damit das Leder geschmeidig blieb.
    Ich habe ihn geliebt. Und er mich. Wenn er seine Hand auf meine Schulter

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