So fühlt sich Leben an (German Edition)
war tot. Wir standen drumrum und sahen sprachlos zu, wie seine Hose nass wurde. Danach hat es eine ganze Weile gedauert, bis ich mein Training wieder aufgenommen habe.
So, und dann ging es an die Ausscheidungsspiele zur Berliner Meisterschaft. 1988 war das, ein Jahr vor der Wende. Ich war knapp vierzehn, wurde aber schon hoch gehandelt, spielte in gewissen Ranglisten schon ziemlich weit oben, qualifizierte mich und wurde im folgenden Jahr tatsächlich Berliner Meister. Das war schon was, in der Hauptstadt unter zweihundert Startenden den Ersten zu machen. Ein hagenvontronjemäßiger Riesenerfolg. Höhepunkt des Tages aber war mein Schaukampf gegen den amtierenden Weltmeister Jan-Ove Waldner aus Schweden, zehn Jahre älter als ich. Der Waldner war ein Held, und gegen den durfte ich spielen… Vor dem Beginn der Partie hat er mich gefragt, ob er ernst machen oder mir eine Chance lassen soll. » Nee«, habe ich gesagt, » spiel richtig. Ich möchte wissen, wie gut ich bin.« Wir haben also drei Sätze gespielt, und den zweiten habe ich tatsächlich gewonnen. Ich war tierisch stolz. Ich war eben nicht zufällig Berliner Meister geworden.
Die logische Konsequenz war meine Teilnahme an der DDR -Meisterschaft. Noch gab es sie ja, die DDR , aber sie lag in den letzten Zügen, und auch bei mir war die Luft raus. Nach der Berliner Meisterschaft hatte ich eigentlich keine Lust mehr. Es war schön gewesen, dieses Gefühl, unschlagbar zu sein– oder so gut, wie–, und für einen kaum Fünfzehnjährigen mit massivem Knatsch zu Hause und Riesenärger in der Schule regelrecht berauschend, aber gegen Jan-Ove Waldner gespielt zu haben, das war der einsame Höhepunkt gewesen, das war nicht mehr zu überbieten, und die DDR -Meisterschaft kam mir nur noch wie eine Pflichtübung vor. Gut, ich bin trotzdem gegen die Topleute aus den anderen ostdeutschen Städten angetreten und auch noch DDR -Meister geworden. Der Letzte seiner Art. Kurz darauf löste sich die DDR auf, alles war im Umbruch, und ich erhielt Angebote aus dem Westen, aus Dortmund, aus München. Ich erinnere mich, wie mein Trainer Ecki zu mir kam und sagte: » Hagen, du könntest jetzt als Profi spielen. Hast du Lust?« Doch mir fehlte der Elan. Ich wusste ja, dass ich’s konnte. Ich hatte das Gefühl, alles erreicht zu haben. » Nö«, gab ich Ecki zur Antwort. Und stieg aus.
Von Zeit zu Zeit packt es mich aber immer noch. Vor einem Jahr rief mich Robert an, jemand aus meinem alten Verein, und fragte mich:
» Sag mal, Hagen, wollen wir nicht mal wieder ein Turnier spielen?«
» Klar«, sage ich. » Was hast du zu bieten?«
» Wir könnten bei den Spandau Open mitmachen«, meint er. » Als Doppel. Da kennt dich kein Schwein.«
Da habe ich meinen alten Schläger rausgeholt und bin mit Robert bei den Spandau Open angetreten. Und es war wirklich so: Niemand kannte mich, niemand rechnete mit mir, ich trat praktisch under cover auf. Wir haben vorher unsere Strategie festgelegt und uns darauf geeinigt, dass ich den Ball bloß halte, während er die Punkte macht, schließlich war Robert noch im Training, und dann habe ich im Turnier tatsächlich nichts weiter gemacht, als seine Punkte vorzubereiten. Fakt ist: Wir haben das Finale bestritten. Und alle haben sich gefragt: Wo kommt der Typ denn her? Im Endeffekt sind wir auf dem zweiten Platz gelandet. Zu gewinnen wäre natürlich der Oberhammer gewesen, aber das Spandau Open ist eines der größten Turniere, und da im Doppel den Zweiten zu machen, das war schon fantastisch.
Dabei hatten wir uns aus der Sache einen Riesenjux gemacht, hatten zwischen den einzelnen Spielen Bacardi gesoffen, Kippen geraucht, Musik gehört und uns unentwegt beeiert. Jeder sonst hatte dieses Turnier furchtbar ernst genommen, hatte auf dem Treppchen stehen wollen, und wir beide, die wir uns einen Spaß draus gemacht haben, landeten tatsächlich auf dem Treppchen. Hat mich schwer an die guten alten Zeiten erinnert…
5 | Untergang mit Ansage
Es knirschte schon im Gebälk, aber nach Untergang sah es noch nicht aus, als meine Mutter mir die Identität von Frau Paschulke enthüllte.
Eines Tages– ich muss acht oder neun gewesen sein– hatte sie bei uns in der Wohnung gestanden. » Guck mal, die Frau Paschulke ist zu Besuch gekommen«, hatte meine Mutter gesagt. Seither hielt ich Frau Paschulke für eine Freundin der Familie. Eine ziemlich gute Freundin sogar, denn sooft sie bei uns auftauchte, wurde der Metaxa aus dem Schrank geholt, und dann saß
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