So funktioniert die Wirtschaft
der menschlichen Potenziale betonen, lehnen die private Zufriedenheit als MaÃstab für gesellschaftliches Handeln ab. Ziel solle es vielmehr sein, den Einzelnen zu ermöglichen, ihre Potenziale auszuschöpfen. Bekanntester Vertreter ist der indische Ãkonom Amartya Sen, Nobelpreisträger und Autor des Bestsellers âÃkonomie für den Menschenâ. Er fragt, ob ungebildete Slumbewohner, die zufrieden sind, weil sie nicht mehr vom Leben erwarten, in ihrer Lage gelassen werden sollten, obwohl sie bei guter Ausbildung und Ernährung das Potenzial zu guten Handwerkern, Künstlern oder Wissenschaftlern hätten. In einer hochentwickelten Wirtschaft können zahlreiche Fähigkeiten und Neigungen besser entwickelt werden als in einer zurückgebliebenen.
Eine Alternative (oder auch Ergänzung) zu dieser eher idealistischen und individualistischen Rechtfertigung des Wirtschaftswachstums im Sinne wirtschaftlicher Entwicklung ist eine realpolitische Sichtweise, wie sie Bernard Mandelville (1670â1733) mit seiner Bienenfabel zum Ausdruck gebrachthat. Darin veranschaulicht Mandelville seine Ãberzeugung, dass persönliche Tugenden wie Genügsamkeit und Friedfertigkeit oft weniger förderlich für Fortschritt und Gedeihen der Gesellschaft seien als Laster wie Ehrgeiz, Gier und Luxus.
In der Fabel verarmt das Bienenvolk mit den genügsamen, tugendhaften Bienen. Das Volk mit den arbeitsamen, ehrgeizigen und aggressiven Bienen dagegen wird reich und mächtig und kann die Herrschaft über die wehrlosen, arm gebliebenen Bienen an sich reiÃen.
Die Anspielung auf die enge Verbindung von wirtschaftlicher Kraft und militärischer Macht ist historisch korrekt. Immer wieder im Lauf der Geschichte haben führende Wirtschaftsmächte ihre Wirtschaftskraft in militärische Macht übersetzt und diese genutzt, um andere Länder zu beherrschen und dadurch ihren Reichtum noch zu mehren, oft zu Lasten der Beherrschten.
Die Fabel hat noch eine weitere Botschaft: Der Einzelne, der sich in seinem eitlen Ehrgeiz nach sozialem Status anstrengt, mehr zu verdienen als andere, und dadurch an einem erbarmungslosen Konkurrenzkampf teilnimmt, bei dem jeder private Kosten in Kauf nehmen muss, produziert als Nebeneffekt eine reichere Gesellschaft.
Beispiel
Die âMitte der Gesellschaftâ trat seinerzeit den Hippies so ausgesprochen feindselig gegenüber, weil sie der Meinung war, diese leisteten in ihrem alleinigen Streben nach Zufriedenheit im Hier und Jetzt keinen Beitrag für die Gesellschaft. Aus ihrer Sicht â und aus einer Sicht, die auf Stärke und Wohlstand der Gesellschaft insgesamt abzielt â hatten sie damit sicherlich Recht.
Wer sich in die Tretmühle des Wettbewerbs mit dem Nachbarn um das gröÃere Auto begibt, der produziert damit direkt oder indirekt Steuern und Sozialabgaben, mit denen StraÃen gebaut, Lehrer bezahlt und soziale Leistungen finanziert werden können. Das sichert langfristig den Wohlstand der Gesellschaft, kommt aber in Umfragen zur aktuellen Befindlichkeit des Einzelnen nicht zum Ausdruck.
Wichtig
Wirtschaftswachstum steigert kaum die Lebenszufriedenheit der Menschen, v. a., weil die Ansprüche mit zunehmendem Wohlstand wachsen. Wirtschaftliche Entwicklung ermöglicht es jedoch den Menschen, mehr von ihren Fähigkeiten und Neigungen auszuleben. AuÃerdem hilft sie, in der oft militärisch ausgetragenen Konkurrenz von Ländern um Macht und Einfluss zu bestehen.
BIP-Wachstum ist nicht gleich Wohlstand
Auch wenn es die Menschen nicht unbedingt glücklich macht, gibt es für Wirtschaftspolitiker gute Gründe, danach zu streben, dass die Wirtschaft wächst und die Einkommen steigen. Das heiÃt aber keinesfalls, dass das Bruttoinlandsprodukt der beste oder auch nur ein guter MaÃstab für wirtschaftlichen Fortschritt ist. Unter den zahlreichen Einwänden gegen das BIP sind die beiden folgenden besonders wichtig:
Es ignoriert unerwünschte Nebenwirkungen einer wirtschaftlichen Aktivität für die Gesellschaft.
Es unterscheidet nicht danach, wer das zusätzliche Einkommen verdient und wie es eingesetzt wird.
Nebenwirkungen werden ausgeblendet
Das Bruttoinlandsprodukt stieg, als der Ãlkonzern BP die Ãlplattform Deep Water Horizon im Golf von Mexiko baute und sie in den Folgejahren betrieb. Es stieg weiter, als die Plattform explodierte, den Golf mit Ãl verseuchte und Milliarden
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