So gut wie tot
nachdenklichem Ton. »Was können Sie mir darüber sagen?«
Sie beschrieb jede Marke in allen Einzelheiten. Sie waren ihr vertraut geworden, standen scharf wie Fotos vor ihrem inneren Auge. Er unterbrach sie ein paar Mal und stellte sehr präzise Fragen.
Als sie zu Ende gesprochen hatte, wurde Hugo Hegarty seltsam still.
92
OKTOBER 2007 Ricky saß in Gedanken versunken in seinem Lieferwagen. Den abgelegenen Campingplatz hatte er im Internet entdeckt. Der Regen, der aufs Dach trommelte, kam zur rechten Zeit, denn so würde niemand in der Dunkelheit über das schlammige Feld laufen und seine Nase in Dinge stecken, die ihn nichts angingen.
Der Platz war einfach perfekt. Nur wenige Kilometer außerhalb von Eastbourne in den Downs gelegen, am Rand eines malerischen Dorfes namens Alfriston. Ein Campingplatz auf einem bewaldeten Grundstück, zu dem ein verlassener Feldweg führte. Ansonsten gab es hier nur einen Tennisklub, in dem bei diesem Wetter und zu dieser Jahreszeit niemand spielte.
Der Besitzer des Campingplatzes hatte auch nicht sonderlich neugierig gewirkt. Er war mit zwei kleinen, streitenden Jungen im Auto hergekommen, hatte fünfzehn Pfund für drei Übernachtungen im Voraus kassiert und Ricky Toiletten und Dusche gezeigt. Dann hatte er seine Handynummer hinterlassen und gesagt, er werde irgendwann am nächsten Tag noch einmal vorbeischauen, ob noch ein Besucher aufgetaucht sei.
Es gab nur ein weiteres Fahrzeug auf dem Platz, einen großen Campingwagen mit niederländischem Kennzeichen, und Ricky hatte in sicherer Entfernung geparkt.
Lebensmittel, Wasser und Milch hatte er sich an einer Tankstelle besorgt, sie würden eine Weile reichen. Er öffnete eine Bierdose und kippte die Hälfte in einem Zug hinunter. Alkohol beruhigte die Nerven. Dann zündete er sich eine Zigarette an und nahm hastig drei Züge hintereinander. Er kurbelte das Fenster ein wenig hinunter, um die Asche hinauszuschnippen, doch der Wind wehte sie ihm ins Gesicht. Er schloss das Fenster. Rümpfte die Nase. Von außen war ein unangenehmer Geruch in den Wagen gedrungen.
Er zog noch einmal an der Zigarette und trank einen Schluck Bier. Der Anruf bei Abby machte ihm inzwischen Sorgen. Dass sie eingehängt hatte. Dass er die Schlampe schon wieder falsch eingeschätzt hatte.
Er befürchtete, sie könne ihre Worte ernst meinen. Sie liefen wieder und wieder in seinem Kopf ab.
Ich gebe dir zurück, was ich noch habe.
Wie viel hatte sie ausgegeben? Einfach verpulvert? Sicher bluffte sie nur. Es war unmöglich, dass sie während ihrer Flucht mehr als ein paar Tausend ausgegeben hatte. Nein, sie bluffte.
Dann musste er wohl die Daumenschrauben anziehen. Sie schien sich für sehr cool zu halten, aber das überzeugte ihn nicht.
Er rauchte die Zigarette zu Ende und warf die Kippe nach draußen. Als er das Fenster schloss, bemerkte er wieder den Geruch. Er wurde stärker, aufdringlicher. Und kam eindeutig aus dem Inneren des Lieferwagens. Es war der beißende Gestank von Urin.
Verdammte Scheiße, nein!
Die alte Frau hatte sich vollgepinkelt.
Er schaltete die Innenbeleuchtung an und kletterte über seinen Sitz nach hinten. Die Frau sah lächerlich aus, wie eine schlüpfende Insektenlarve. Der Kopf lugte aus dem aufgerollten Teppich.
Er löste das Klebeband so sanft wie möglich von ihrem Mund, da er ihr nicht unnötig wehtun wollte; sie befand sich ohnehin in einem kritischen Zustand, und er hatte Angst, sie könnte sterben.
»Haben Sie in die Hose gemacht?«
Zwei verängstigte Augen schauten ihn an. »Ich bin krank«, sagte sie mit schwacher Stimme. »Ich bin inkontinent. Tut mir leid.«
Panik überkam ihn. »Heißt das, Sie machen das andere auch?«
Sie zögerte und nickte entschuldigend.
»Na super. Das ist ja wirklich toll.«
93
OKTOBER 2007 Als Glenn Branson nach der Besprechung wieder an seinen Schreibtisch gehen wollte, klingelte sein Handy. Im Display wurde eine unbekannte Nummer aus Brighton angezeigt.
»DS Branson«, meldete er sich. Sofort erkannte er die smarte Stimme am anderen Ende.
»Verzeihung, dass ich so spät anrufe.«
»Das ist überhaupt kein Problem, Mr Hegarty. Was kann ich für Sie tun?«
»Passt es Ihnen gerade?« »Natürlich.«
»Sie werden nicht glauben, was gerade passiert ist. Ich habe Ihnen und Ihrer charmanten Kollegin heute Nachmittag doch die Liste gegeben und dazu die Beschreibung aller Briefmarken, die ich 2002 für Lorraine Wilson gekauft habe.«
»Ja.«
»Nun, es mag ja ein seltsamer
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