So gut wie tot
freigab.
Lisa wich entsetzt zurück, hielt sich die Nase zu und schloss kurz die Augen. Die brennende Mittagssonne und die aufdringlichen Fliegen machten alles noch schlimmer. Sie öffnete wieder die Augen und atmete durch den Mund, der Geruch war dennoch kaum zu ertragen. Sie kämpfte mit dem Brechreiz.
MJ sah auch nicht viel besser aus, doch beide hielten sich besser als der hektische Polizist, der in einiger Entfernung kniete und sich tatsächlich übergab. Lisa hielt die Luft an und machte, obwohl MJ sie zurückhalten wollte, ein paar Schritte auf den Wagen zu, um einen Blick hinein zu werfen.
Sie bereute es sofort. Der Boden unter ihren Füßen schwankte. Sie umklammerte MJs Hand.
Was darin lag, sah aus wie eine Schaufensterpuppe, die in der Hitze geschmolzen war. Dann wurde ihr klar, dass es sich um eine Frauenleiche handelte. Sie füllte fast den gesamten Kofferraum aus, teilweise von schleimigem, glänzend schwarzem Wasser bedeckt, das allmählich abfloss und den Körper freigab. Ihr schulterlanges blondes Haar war wie verfilztes Gras um ihren Kopf ausgebreitet. Ihre Brüste sahen aus wie Seife, und die Haut war mit großen schwarzen Flecken übersät.
»Hat sie Verbrennungen?«, erkundigte sich MJ bei dem kleineren Polizisten.
»Das – nein, nein – mit Verbrennungen hat das nichts zu tun. Die Haut gibt nach.«
Lisa betrachtete das Gesicht der Leiche, doch es war verquollen und formlos, wie der Kopf eines halb geschmolzenen Schneemanns. Nur das Schamhaar war unversehrt, das dichte braune Dreieck geradezu unwirklich, als hätte sich jemand einen grotesken Scherz erlaubt und es angeklebt. Lisa hatte ein schlechtes Gewissen, dass sie die Leiche so ungeniert betrachtete. Der Tod war etwas Privates, und sie kam sich vor wie ein Eindringling.
Dennoch konnte sie die Augen nicht davon lösen. Ihr gingen ständig dieselben Fragen durch den Kopf. Was war mit dem armen Ding geschehen? Wer hatte der Frau das angetan?
Schließlich hatte sich der andere Polizist wieder gefasst, drängte sie unvermittelt nach hinten und sagte, er müsse den Tatort absperren.
Lisa und MJ wichen ein paar Schritte zurück, die Augen immer noch auf den Kofferraum geheftet, als schauten sie eine Folge von CSI. Entsetzt, betäubt und doch auch gefesselt beobachteten sie, wie die Arbeiten in Gang kamen. MJ holte Wasser und Baseballkappen aus dem Auto. Lisa trank dankbar und setzte eine Kappe auf, um sich vor der sengenden Hitze zu schützen.
Zunächst traf die Spurensicherung ein. Zwei Männer stiegen aus dem Lieferwagen und zogen weiße Schutzanzüge über. Dann tauchte der kleine blaue Lieferwagen des Polizeifotografen auf und kurz darauf ein blauer VW Golf, aus dem eine junge Frau stieg, die den Tatort eingehend betrachtete. In einer Hand hielt sie ein Notizbuch, in der anderen einen kleinen Kassettenrecorder. Sie kam zu MJ und Lisa herüber.
»Sie beide haben den Wagen gefunden?«, fragte sie in geschäftsmäßigem, aber freundlichem Ton.
Lisa deutete auf MJ. »Er hat ihn gefunden.«
»Ich bin Angela Parks von der Zeitung Age. Können Sie mir sagen, was genau passiert ist?«
Als Nächstes fuhr ein staubiger goldfarbener Holden vor, aus dem zwei Männer in weißen Hemden und Krawatten stiegen. Einer war stämmig, mit einem ernsten, jungenhaften Gesicht, während der andere wie ein Schlägertyp aussah: groß, kräftig gebaut, leicht übergewichtig, mit kahlem Schädel und schmalem rötlichen Schnurrbart. Er wirkte ausgesprochen wütend. Vermutlich, weil man ihn am Wochenende gerufen hatte, dachte Lisa, sie sollte aber bald den wahren Grund erfahren.
»Du verdammter Idiot!«, brüllte er den hektischen Polizisten zur Begrüßung an. »Was ist das für eine Scheiße! Habt ihr denn gar nichts gelernt? Was habt ihr mit meinem Tatort angestellt? Ihr habt ihn nicht nur kontaminiert, ihr habt ihn völlig versaut! Wer zum Teufel hat euch gesagt, dass ihr den Wagen aus dem Wasser holen sollt?«
Dem hektischen Polizisten verschlug es kurzzeitig die Sprache. Dann stammelte er: »Tut mir leid, Sir, wir haben wohl ein bisschen Mist gebaut.«
»Du stehst mittendrin in deinem Mist!«
Der Stämmige ging zu Lisa und MJ hinüber und nickte der Reporterin zu. »Wie geht’s, Angela?«
»Ganz gut. Schön, Sie zu sehen, Detective Sergeant Burg«, entgegnete sie.
Dann marschierte der Schlägertyp mit großen Schritten auf sie zu, als gehörte ihm das ganze Flussufer. Er nickte der Journalistin flüchtig zu und wandte sich dann an Lisa und MJ.
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