So gut wie tot
konsterniert gefragt.
»Mir. Ich habe ihn heute Nachmittag abgeholt. Es ist ein fünf Monate alter Rettungshund, eine Mischung aus Labrador und Border Collie.«
Sein rechter Fuß wurde unangenehm warm, als der Urin durch den Turnschuh drang. Er kniete sich hin und ließ die raue Hundezunge über seine Hand lecken.
»Du – du hast mir gar nicht gesagt, dass wir einen Welpen bekommen!« Er war total erstaunt.
»Na ja, es gibt auch viele Dinge, die du mir nicht erzählst«, hatte sie darauf leichthin erwidert.
*
Eine ältere Frau kam ins Wartezimmer und warf ihm einen misstrauischen Blick zu, als wollte sie sagen, ich habe aber den ersten Termin, Sunny Boy. Dann setzte sie sich.
Roys Terminkalender war voll. Um neun stand eine Besprechung mit Alison Vosper in Sachen Cassian Pewe an. Für 9.45 Uhr, viel später als gewöhnlich, hatte er die erste Besprechung in Sachen Operation Dingo angesetzt. Das war der Zufallsname, den der Computer für die Ermittlungen im Fall der unbekannten Frau aus dem Regenkanal ausgespuckt hatte. Um halb elf musste er zum Morgengebet, wie das neu eingeführte wöchentliche Treffen des Managementteams scherzhaft genannt wurde.
Mittags sollte eine Pressekonferenz zu dem Skelettfund stattfinden. Zwar gab es in diesem Stadium noch nicht viel zu berichten, doch würden vielleicht Hinweise eingehen, wenn sie das Alter der Toten, die körperlichen Merkmale und den ungefähren Zeitpunkt des Todes bekanntgaben.
»Roy! Schön, Sie zu sehen!«
Steve Cowling stand im weißen Kittel in der Tür und strahlte ihn mit seinem perfekten weißen Gebiss an. Er war ein hoch gewachsener Mann Mitte fünfzig, der sich militärisch gerade hielt und dessen tadellos frisiertes Haar zunehmend grau wurde. Er verströmte Charme und Selbstvertrauen und legte einen wirklich jungenhaften Enthusiasmus für Zähne an den Tag.
»Kommen Sie rein, alter Junge!«
Grace nickte der alten Dame entschuldigend zu und folgte dem Zahnarzt in dessen helle, luftige Folterkammer.
Während Steve Cowling genau wie Grace selbst bei jedem Besuch ein wenig älter wirkte, schienen die Helferinnen in der Praxis immer jünger und hübscher zu werden. Eine langbeinige Brünette Anfang zwanzig holte einige Röntgenbilder aus einem Umschlag und reichte sie Cowling mit einem aufreizenden Lächeln.
Der Zahnarzt griff nach dem Alginatabdruck, den Roy ihm zwanzig Minuten zuvor gegeben hatte. »Also, Roy, das ist wirklich interessant. Erst einmal kann ich Ihnen versichern, dass es sich definitiv nicht um Sandy handelt.«
»Nein?«, fragte er kraftlos.
»Auf keinen Fall.« Cowling deutete auf die Röntgenaufnahmen. »Diese hier stammen von Sandy, es gibt überhaupt keine Ähnlichkeit. Aber der Abdruck liefert einige hilfreiche Informationen.« Wieder schenkte er Grace ein strahlendes Lächeln.
»Gut.«
»Diese Frau hatte Implantate, die zur damaligen Zeit ziemlich teuer gewesen sein dürften. Aus Titan, mit Schraubgewinde, hergestellt von der Schweizer Firma Straumann. Im Grunde handelt es sich dabei um einen Hohlzylinder, der über die Wurzel gestülpt wird, die wiederum in ihn hineinwächst und so für den dauerhaften Halt des Implantats sorgt.«
Grace hatte mit widerstreitenden Gefühlen zu kämpfen, und es fiel ihm schwer, sich auf die Worte des Zahnarztes zu konzentrieren.
»Das Interessante daran ist, dass wir die Implantate ungefähr datieren können, wodurch wir den Todeszeitpunkt besser bestimmen können. Sie kamen nämlich vor etwa fünfzehn Jahren aus der Mode. Es wurden noch weitere kostspielige Arbeiten vorgenommen, Zahnsanierungen und Brücken. Falls sie aus der Gegend stammte, dürfte es nur fünf oder sechs Zahnärzte geben, bei denen sie in Behandlung gewesen sein könnte. Ein guter Anfang wäre Chris Gebbie, der in Lewes und Eastbourne praktiziert. Die anderen Namen schreibe ich Ihnen auf. Außerdem können wir davon ausgehen, dass die Frau ziemlich wohlhabend war.«
Grace hörte zu, war in Gedanken aber ganz woanders. Hätte es sich bei dem Skelett um Sandy gehandelt, wäre dies zwar ein Schock gewesen, doch er hätte endlich einen Schlussstrich ziehen können. Nun würde die qualvolle Ungewissheit weitergehen.
Er wusste nicht recht, ob er enttäuscht oder erleichtert sein sollte.
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SEPTEMBER 2007 Der Gestank, der aus dem Kofferraum des Wagens stieg, ließ die Umstehenden würgen. Es roch wie ein Abfluss, der jahrelang verstopft gewesen war und nun auf einen Schlag die angestauten Verwesungsgase
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