So gut wie tot
verströmte einen schwachen Duft von Pfeifentabak, genau wie Norman Potting. Bei seinem Kollegen fand Grace den Geruch störend, während er ihm bei Skerritt gefiel. Es passte zu ihm und unterstrich dessen männliches Image.
Zu seinem Missfallen entdeckte Grace auch Cassian Pewe am Tisch, zusammen mit den übrigen leitenden Kripobeamten. Vermutlich hatte der Neue noch nie eine Pfeife zwischen den Lippen gehabt.
Der frisch gebackene Detective Superintendent begrüßte ihn mit einem öligen Lächeln und einem zuckersüßen: »Hallo, Roy, schön, Sie zu sehen.« Er streckte ihm eine feuchte Hand entgegen. Roy schüttelte sie so kurz er konnte, setzte sich auf den einzigen freien Stuhl und entschuldigte sich leise bei Skerritt, der großen Wert auf Pünktlichkeit legte.
»Gut, dass Sie es geschafft haben, Roy«, erwiderte der Detective Chief Superintendent.
Seine sonore Stimme, die immer ein wenig ironisch klang, verriet nicht, welcher gesellschaftlichen Klasse er entstammte. Ob die Bemerkung auch ironisch gemeint war, konnte Roy nicht heraushören.
»Also zur Sache«, sagte Skerritt.
Er saß kerzengerade da, verströmte Selbstsicherheit und wirkte vollkommen unangreifbar, wie aus Granit gehauen. Vor sich auf dem Tisch hatte er die Tagesordnung liegen. Jemand reichte Roy ein Exemplar, das er rasch überflog. Das Übliche.
Protokoll der vorherigen Besprechung.
Jahresbericht über Verkehrsunfälle.
Zukunftsprogramm 2010 – Fehlbetrag 8 bis 10 Millionen Pfund.
Mit gemeinsamen Kräften – Aktualisierung der Fusion der Polizeikräfte von Sussex und Surrey …
Skerritt handelte die einzelnen Punkte rasch ab. Als sie zum Thema »aktuelle Operationen« gelangten, berichtete Roy über den Stand der Dinge bei Operation Dingo. Zu diesem Zeitpunkt gab es kaum Neuigkeiten, doch er erklärte, er verspreche sich hinsichtlich der Identifizierung viel von den Zahnunterlagen der toten Frau.
Als Skerritt zum Punkt »Sonstiges« kam, wandte er sich unvermittelt an Grace. »Roy, ich werde einige Veränderungen im Team vornehmen.«
Einen Moment lang setzte Graces Herzschlag aus. Reichte die Vosper-Pewe-Verschwörung bis hierher?
»Sie leiten von jetzt ab die Abteilung Kapitalverbrechen«, verkündete Skerritt.
Grace traute seinen Ohren nicht. »Kapitalverbrechen?«
»Ja, Roy, ich habe gründlich darüber nachgedacht.« Er tippte sich an den Kopf. »Und meine grauen Zellen haben mir recht gegeben. Sie bleiben weiterhin Ermittlungsleiter, sind aber ab jetzt für alle Kapitalverbrechen verantwortlich. Als mein Stellvertreter. Wenn ich nicht da bin, leiten Sie die Kripo.«
Man hatte ihn befördert!
Cassian Pewe sah aus, als hätte er in eine Zitrone gebissen.
Grace wusste, dass er einen Riesenschritt nach vorn gemacht hatte, selbst wenn sein Dienstgrad unverändert blieb.
»Vielen Dank, Sir. Ich – ich freue mich sehr.« Er zögerte. »Ist das mit Alison Vosper abgestimmt?«
»Alison überlassen Sie ruhig mir«, erwiderte Skerritt wegwerfend und wandte sich an Pewe. »Cassian, willkommen im Team. Roy wird von jetzt an alle Hände voll zu tun haben, daher könnten Sie sich um seine alten Fälle kümmern. Damit sind Sie ihm unterstellt.«
Grace konnte nur mit Mühe ein Grinsen unterdrücken. Cassian Pewes Gesicht war wirklich sehenswert. Wie eine Wetterkarte, die nur Regen und Wolken versprach und keinen einzigen Sonnenstrahl. Selbst seine Dauerbräune schien verblichen.
Die Sitzung endete pünktlich um halb zwölf. Cassian Pewe hielt Grace an der Tür auf.
»Roy, Alison hat vorgeschlagen, dass ich gleich mit zu Ihrer Pressekonferenz und der Besprechung am Abend kommen soll, um mich zu orientieren. Um zu sehen, wie Sie hier unten arbeiten. Ist das in Ordnung, ich meine, nach dem, was Jack mir soeben aufgetragen hat?«
Nein, dachte Grace. Es ist ganz und gar nicht in Ordnung Das sprach er jedoch nicht aus. »Nun ja, Sie könnten Ihre Zeit besser nutzen, indem Sie sich mit meinen Fällen vertraut machen. Ich zeige Ihnen die alten Akten, dann können Sie gleich loslegen.«
In Gedanken malte er sich aus, glühende Nadeln in Pewes Hoden zu stechen.
Doch dessen Gesichtsausdruck verriet ihm, dass Jack Skerritt das schon für ihn erledigt hatte.
43
OKTOBER 2007 Grace hielt die Pressekonferenz möglichst knapp. Es war die Zeit der Parteitage, und viele Journalisten waren in Blackpool bei den Tories, von denen sie sich mehr Neuigkeiten versprachen als von einem Skelett in einem Abflusskanal. Jedenfalls, was Berichte für die
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