So gut wie tot
weitere Anhaltspunkte wie die typischen punktförmigen Blutungen zu finden. Die Lunge hatte sich bereits zu stark zersetzt, um Hinweise darauf zu liefern, ob die Frau schon tot gewesen war, als der Wagen im Wasser versank.
Auch der Zustand des Fleisches machte wenig Hoffnung. Wenn eine Leiche lange im Wasser lag, zersetzten sich nicht nur das weiche Gewebe und das Haar, sondern vor allem die darin enthaltene DNA. War die Verwesung zu stark, konnten sie sich nur auf die DNA aus den Knochen verlassen, die aber sehr viel weniger aussagekräftig war.
Wenn George nicht gerade telefonierte, lehnte er still an der Wand. Er wollte sich einfach nur hinsetzen und für einen Moment die Augen schließen. Allmählich spürte er sein Alter. Polizeiarbeit war ein Job für junge Männer – dieser Gedanke war ihm in letzter Zeit öfter gekommen. Noch drei Jahre bis zur Pensionierung, und obwohl er nach wie vor gern arbeitete, freute er sich darauf, nicht mehr Tag und Nacht abrufbereit zu sein und in der ständigen Furcht zu leben, am Sonntagmorgen an einen unerfreulichen Tatort gerufen zu werden.
»George!«
Das war sein Kollege.
Er ging an den Tisch, auf dem die Frau lag. Er hielt etwas mit einer Zange hoch, das wie eine durchsichtige, mit kleinen Einbuchtungen versehene Qualle ohne Fäden aussah.
»Brustimplantat«, erklärte sein Kollege. »Hatte eine Brustvergrößerung.«
»Oder einen Brustaufbau nach Krebs?«, erkundigte sich George. Eine Freundin von Janet hatte kürzlich eine Brustamputation gehabt, daher kannte er sich mit dem Thema ein bisschen aus.
»Nein, nur größere Brüste«, sagte der andere. »Gut für uns.«
George runzelte die Stirn.
»Alle Brustimplantate aus Silikon sind mit einer Seriennummer des Herstellers versehen«, erklärte der Pathologe. »Diese wiederum sind im Register des jeweiligen Krankenhauses eingetragen, zusammen mit dem Namen der Empfängerin.« Er hielt George das Implantat hin, damit dieser die Reihe winziger Zahlen erkennen konnte. »Die führt uns zum Hersteller. Danach dürfte es ein Kinderspiel für Sie sein, die Frau zu identifizieren.«
George machte sich wieder an seine Anrufe. Er meldete sich rasch bei Janet, um ihr zu sagen, dass er sie liebte. Seit ihrem ersten Rendezvous hatte er sie immer mindestens einmal täglich von der Arbeit aus angerufen. Und er meinte es ehrlich. Nach all den Jahren liebte er sie wie am ersten Tag. Die Entdeckung des Gerichtsmediziners hatte seine Laune verbessert. Das Paracetamol zeigte Wirkung. Er konnte sogar schon ans Mittagessen denken.
Da plötzlich rief der Forensiker: »George, das könnte jetzt wirklich wichtig sein!«
Er eilte an den Tisch zurück.
»Die Gebärmutterwand ist verdickt. Bei einer Leiche, die so lange im Wasser gelegen hat, zersetzt sich die Gebärmutter ungefähr als letztes. Wir haben wirklich Glück.«
»Ach ja?«
Der Rechtsmediziner nickte. »Jetzt bekommen wir nämlich unsere DNA!« Er zeigte auf das Schneidbrett, das auf stählernen Beinen über der Leiche der Frau stand.
Es war mit diversen Körperflüssigkeiten verschmiert. In der Mitte lag ein weißliches Organ, das an ein aufgeschnittenes u-förmiges Würstchen erinnerte. George hatte keine Ahnung, um was es sich dabei handelte. Dann fiel sein Blick auf das, was daneben lag. Zuerst hielt er es für eine unverdaute Garnele, die man in ihrem Magen gefunden hatte. Bei näherem Hinsehen begriff er, was es war.
Ans Mittagessen dachte er jetzt nicht mehr.
42
OKTOBER 2007 Das erste erfreuliche Anzeichen für den Regimewechsel in Sussex House war der eigene Parkplatz für die leitenden Kriminalbeamten gewesen. Er befand sich in bester Lage genau vor dem Gebäude. Seither musste Roy nicht mehr durch die Gegend kutschieren, um eine Parklücke auf der Straße zu finden und dann durch den Regen zurückzulatschen oder die schlammige Abkürzung durchs Gebüsch zu nehmen, gefolgt von einem todesmutigen Sprung von einer Mauer.
Das niedrige, im Art-Deco-Stil errichtete Gebäude lag auf einer Anhöhe in sicherer Entfernung von Brighton and Hove, da es früher als Seuchenhospital gedient hatte. Bevor die Kriminalpolizei es übernommen hatte, war es für verschiedene Zwecke genutzt worden und irgendwann, ungeachtet der ländlichen Lage, von der wuchernden Stadt eingeholt worden. Inzwischen befand es sich inmitten eines Industriegebiets. Gegenüber lag ein Supermarkt, der den Mitarbeitern als Ausweichparkplatz und inoffizielle Kantine diente.
Nachdem der liebenswürdige,
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