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So habe ich es mir nicht vorgestellt

So habe ich es mir nicht vorgestellt

Titel: So habe ich es mir nicht vorgestellt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Batya Gur
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nie gewöhnt hatte. Deshalb, weil sie so gar nicht darauf vorbereitet war, sackten ihr fast die Knie ein, als die Sekretärin mit einer erschrockenen Stimme sagte: »Ich dachte, Sie wüßten es, sie ist nicht zur Arbeit gekommen, sie ist krank.«
    Pnina versuchte, sich an die wenigen Male zu erinnern, die Jo’ela krank gewesen war. Abgesehen von den Kinderkrankheiten war sie immer gesund gewesen. Das war eines der Dinge, die die russische Ärztin damals betont hatte, die Gesundheit und die physische Kraft des Mädchens, ihre Gelenkigkeit. Um von der Arbeit fernzubleiben, mußte Jo’ela entweder ein Kind bekommen oder hohes Fieber haben, was vielleicht zweimal in ihrem Leben passiert war.
    Mit zitternden Fingern wählte Pnina die Nummer von Jo’elas Wohnung, doch dort antwortete niemand. Sie hörte das Telefon in dem leeren Haus läuten und stellte sich alle nur möglichen Katastrophen vor. Sie drehte die Fischstücke durch die alte Maschine, die sie an die Marmorplatte geschraubt hatte, die Zwiebel und die in Wasser eingeweichten Scheiben Weißbrot, die sie mit ihrer ganzen Kraft ausgedrückt hatte, und beobachtete, wie die Mischung bei jeder Drehung des Griffs aus den Löchern quoll. »Wie Würmer«, hatte Jo’ela früher gesagt, als sie noch klein war. Immer wieder probierte sie mit der Fingerspitze ein bißchen von dem Brei, den sie mit den Händen rührte, und fügte völlig mechanisch Salz und Zucker und Pfeffer hinzu. Die Mischung schmeckte nicht. Ein paarmal wischte sie sich die Hände ab und wählte hartnäckig wieder, wartete zwischen den einzelnen Zahlen und fühlte jedesmal, wie ihre Angst wuchs, und die Mischung zum Füllen der Fische mißlang immer mehr, und jedesmal, wenn sie versuchte, Arnons Firma anzurufen, hörte sie das Besetztzeichen. Als sie aus der Mischung Bällchen formte und in das sprudelnde Wasser im Aluminiumtopf legte, spürte sie, daß sie, wenn sie nicht bald erfuhr, was los war, zusammenbrechen würde.
    Erst am späten Nachmittag, als die Fische schon in dem großen Topf lagen, antwortete Ja’ir auf das hartnäckige Läuten des Telefons und rief, als er ihre Stimme hörte, ungeduldig: »Oma! Ich habe den Rekord gebrochen! Ich bin mitten im Spiel, ich habe zwölf geschafft.«
    »Wo ist deine Mutter?« fragte Pnina.
    »Im Bett«, sagte der Junge und wies sie darauf hin, daß sie ihm das Computerspiel kaputtmachte, und als sie ihn bat, Jo’ela ans Telefon zu rufen, sagte er noch ungeduldiger: »Sie kann jetzt nicht sprechen, sie ruft dich später an.«
    »Warum kann sie nicht sprechen? Ist sie krank?«
    »Ich weiß nicht«, antwortete er. »Sie hat Grippe, und Papa ist schon beim Reservedienst. Er hat versprochen, daß er mir ein Lego-Raumschiff mitbringt.«
    »Und wer kümmert sich jetzt um dich?« fragte Pnina, besorgt bei dem Gedanken, daß niemand darauf achtete, daß er sich Gesicht und Hände wusch oder daß er etwas trank, aber als er nun ungeduldig und vorwurfsvoll antwortete: »Ich muß schnell zu meinem Spiel zurück!«, sagte sie nur: »Wer hat dir Mittagessen gemacht?«
    »Schula, aber jetzt ist sie weg, und Mama bezahlt Ja’ara drei Schekel die Stunde, damit sie auf mich aufpaßt.« Der Junge war kaum zu verstehen, vermutlich hatte er das Gesicht zur Seite gedreht und schaute wohl zum Fernsehschirm hinüber, denn sie konnte Schüsse hören.
    »Gib mir Ne’ama«, verlangte Pnina und stellte sich das ernste, verantwortungsbewußte Gesicht ihrer ältesten Enkelin vor, die als einzige von den dreien Jo’ela ähnlich sah.
    »Sie ist nicht zu Hause«, teilte Ja’ir mit und wollte schon den Hörer auflegen, doch Pnina sagte schnell: »Ja’iri, vielleicht fragst du die Mama noch mal, ob sie mit mir sprechen kann?«
    »Sie hat gesagt, ich soll nicht mehr ins Zimmer kommen, und sie hat alles dunkel gemacht«, sagte der Junge und knallte nach einem schnellen »Also dann, Oma, auf Wiedersehen« den Hörer auf.
    Erst da merkte Pnina, wie heftig ihr Herz klopfte. Die Kinder sind in Ordnung, sagte sie sich, und Jo’ela lebt. Und auch wenn Arnon beim Reservedienst ist, so macht er doch nichts Gefährliches, warum regst du dich denn überhaupt auf? Sie ging wieder zu dem Topf, doch die Vorstellung aller möglichen Unglücksfälle ließ sie nicht los. Sie sah, daß die Fischbällchen zu lange im Wasser gewesen waren, auf zu großer Flamme, so daß sie nun fast auseinanderfielen, und hantierte mit zittrigen Fingern an den Knöpfen des alten Gasherdes herum, bis die Flamme die

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