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So habe ich es mir nicht vorgestellt

So habe ich es mir nicht vorgestellt

Titel: So habe ich es mir nicht vorgestellt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Batya Gur
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richtige Höhe erreicht hatte, die niemand außer ihr einstellen konnte, nicht voll aufgedreht, aber auch nicht zu schwach, sondern eine Art Geheimstufe in der Mitte, die sie erst nach jahrelanger Übung herausgefunden hatte. Wieder probierte sie die nun gekochte Füllung, hätte aber nicht sagen können, was fehlte, denn sie schmeckte einfach nach nichts. Wieder wählte sie die Nummer von Arnons Firma, obwohl sie wußte, daß er schon weggefahren war, sie hoffte, mit seiner Sekretärin sprechen zu können, aber da war wieder das hartnäckige Besetztzeichen. Wie besessen wählte sie weiter, und bei jeder Zahl wuchs die Befürchtung, Jo’ela könne gerade versuchen, sie anzurufen, um ihr alles zu erklären, deshalb befahl sie sich, mit dem Wählen aufzuhören und die Leitung frei zu lassen für Mitteilungen. Noch nie war es passiert, daß Jo’ela zu Hause war und nicht zum Telefon kam, es sei denn, sie war unter der Dusche. Sie sagte höchstens mal: »Leg auf, ich rufe gleich zurück.« Sie überlegte, ob sie noch einmal bei ihr zu Hause anrufen sollte, doch ihre Hand, die sie schon erhoben hatte, fiel schlaff auf die Sessellehne zurück.
    Es wurde langsam dunkel, sie schaltete den Herd aus und nahm den Deckel von dem großen Topf, mechanisch, ohne zu wissen, was sie eigentlich tat, sie wusch die Gurken und wickelte sie in Zeitungspapier, weil sie so drei Tage und länger im Kühlschrank frisch blieben und nicht anfingen zu schimmeln wie in einer Plastiktüte, wie sie Jo’ela schon oft erklärt hatte. Erst dann räumte sie alles in den Kühlschrank und versuchte, sich selbst zu beruhigen, auf Jiddisch, auf Polnisch, und sich zu sagen, daß sie morgen schon alles erfahren werde, sie müsse nur noch das Essen einpacken, aber das könne sie auch morgen früh erledigen. Wer würde sie eigentlich holen, wenn Jo’ela krank war? Sie schob die Frage beiseite, und nachdem sie die Fische auf der großen Platte angerichtet und die Soße in dieselbe Glasschüssel wie immer gefüllt hatte, fing sie wieder an, mit sich selbst zu reden, wobei sie ständig zu dem schweren schwarzen Telefon hinüberblickte, das nie gegen ein neueres Modell ausgetauscht worden war.
    Um sieben Uhr abends war in dem kleinen Küchenfenster noch blasses Licht zu sehen, und Pnina fiel auf, daß der Vorhang eine Wäsche brauchte. Sie hatte ihn seit den Feiertagen nicht mehr abgenommen. Auch andere Kleinigkeiten stachen ihr jetzt ins Auge, zum Beispiel daß die Steckdose neben der Tür zur Küche schief hing und daß der Griff der Kühlschranktür geputzt werden müßte. Der Teppich auf dem Küchenfußboden hatte Flecken, die ihr bisher nicht aufgefallen waren, und das Bild auf dem Wandkalender wirkte auf einmal bedrohlich. Und dann wählte sie wieder. Diesmal war Ja’ara am Telefon. Ruhig sagte sie, Mama fühle sich nicht wohl, und mit einem verantwortungsbewußten Ton in der Stimme fügte sie hinzu, sie mache jetzt für sich und Ja’ir das Abendessen, Mama schlafe und habe gebeten, nicht geweckt zu werden. Und sie solle der Oma ausrichten, daß sie morgen nicht kommen könne, um sie zu holen, sie habe Grippe. Es lohne sich auch nicht, daß die Oma sich anstecke. So blieb Pnina auf dem geblümten Sessel mit den dünnen Armlehnen sitzen, neben dem schwarzen Telefon, eine Hand auf dem Hörer, ohne zu wissen, was sie tun sollte.
    Im Fernsehen erklärte eine geschminkte Ansagerin auf Arabisch, wie man gefüllte Weinblätter zubereitet, und Pnina stellte das Gerät lauter, um Gesellschaft zu haben und um die inneren Stimmen zu übertönen, die ihr alle Leiden ihres Lebens aufzählten. Sie war erfüllt von der zunehmenden Gewißheit, daß ein Unglück passiert war, aber hätte nicht sagen können, worum es sich handelte.
    Auch um zehn Uhr abends ging Jo’ela nicht zum Telefon, sondern Ja’ara sagte mit schläfriger Stimme, Mama werde morgen anrufen, und Papa habe sich noch nicht gemeldet. In der Firma ging niemand ans Telefon. Pnina bedeckte das Gesicht mit den Händen. Jetzt erst fiel ihr auf, daß sie sich, seit sie vom Markt zurückgekommen war, nicht umgezogen hatte, und wieder spürte sie das bedrückende Gefühl, das angefangen hatte, als sie feststellen mußte, daß der Fischverkäufer heute nicht da war.
    Sie sah sich einen alten amerikanischen Film im Fernsehen an, während sie langsam das Kleid mit dem Blumenmuster auszog, das sie an diesem Tag wegen der Hitze gewählt hatte. Als sie die elastischen Stützstrümpfe hinunterschob und die

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