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So habe ich es mir nicht vorgestellt

So habe ich es mir nicht vorgestellt

Titel: So habe ich es mir nicht vorgestellt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Batya Gur
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Mund, nachdem Jo’ela Arnon geheiratet hatte, der gutes Essen zu würdigen wußte. Bis zur Hochzeit ihrer Tochter hatte sie zwei Karpfen gekauft und darauf geachtet, daß sie nicht mehr als ein Kilo wogen. Der bedeutungsvolle Wandel in ihrer Beziehung zu dem Fischverkäufer war in dem Moment eingetreten, als sie zum ersten Mal zögerte, nachdem sie zwei Fische ausgesucht hatte. Der Mann wartete, daß sie zu ihrem Platz vor der Theke zurückkehrte, und sie sagte nur: »Noch einen.« Seit damals kaufte sie drei. »Ungefähr ein Kilo und vierhundert Gramm«, sagte sie immer, bevor er die Fische wog, »nicht über anderthalb Kilo.« Jedesmal warf er ihr einen seiner zornigen Blicke zu, als wolle er sagen: Was ist, haben Sie etwa kein Vertrauen zu mir?, und erst dann schlug er die Fische an die Tischplatte. Für Arnon zu kochen war ein Vergnügen. Er verstand die Mühe zu würdigen, die man brauchte, um ein gutes Essen zuzubereiten, und lobte immer die Fische und die gehackte Leber und ganz besonders den Kalbsfuß in Aspik, bei dem Jo’ela angeekelt den Kopf abwandte. »Nicht vor den Kindern«, hatte Pnina oft gesagt, »vielleicht schmeckt es ihnen ja«, aber Jo’ela verzog weiter das Gesicht, wenn sie Kalbsfuß in Aspik sah.
    Heute war der Verkäufer nicht dagewesen. An seiner Stelle hatte ein junger Mann dagestanden, der die Gummischürze des eigentlichen Verkäufers über einem hellen Hemd mit aufgekrempelten Ärmeln getragen hatte, und während er die Fische säuberte, hing in seinem Mundwinkel eine brennende Zigarette. Pnina hatte befürchtet, daß Asche auf die Fische fiel, doch er hatte den Kopf seitwärts gedreht, und die Asche war auf den Boden gefallen, auf den Haufen Fischschuppen neben der Theke. Sie fragte nach dem Mann, und zum ersten Mal bedauerte sie, daß sie nach all den Jahren nicht einmal seinen Namen kannte, daß sie nie ein Wort mit ihm gewechselt hatte und nichts von ihm wußte. Nur daß sie ihn jeden Mittwoch auf dem Markt treffen würde, sommers wie winters. Sogar während des Jom-Kippur-Kriegs war er dagewesen, nachdem sie eine Woche nicht zum Markt gefahren war, wegen ihres Umzugs zu Jo’ela und Arnon. Man konnte die Male an den Fingern einer Hand abzählen, die sie nicht zum Markt gefahren war, zum Beispiel als sie im Krankenhaus gelegen hatte oder als Chaim gestorben war und sie Schiwa gesessen hatte, und sogar da hatte sie Frau Sakowitz, ihre Nachbarin, gebeten, Fische für sie zu kaufen. Der Verkäufer hatte sicher gewußt, daß sie für sie bestimmt waren, obwohl sie ihm nie ihren Namen gesagt hatte. Immer war er dagewesen. Nur heute nicht. Der stechende Schmerz in der Brust, den sie gefühlt hatte, als sie den jungen Mann erblickte, der die orientalische Musik aus dem Radio mitsummte, brachte sie dazu, die Frage zu stellen: »Wo ist er?« Der junge Mann fragte nicht, wer, sondern sagte nur gleichgültig: »Er fühlt sich nicht wohl.« Das Stechen in der Brust war zu einer quälenden Last geworden, als sie mit ihren Körben in den Bus einstieg und nach Hause fuhr. Schon im Bus schimpfte sie mit sich selbst und beschloß, nicht mehr daran zu denken, doch plötzlich stiegen Fragen in ihr auf, zum Beispiel, ob er Frau und Kinder hatte. Den jungen Mann hatte sie gefragt: »Sind Sie sein Sohn?«, doch er hatte lediglich den Kopf geschüttelt und geantwortet: »Ich arbeite nur hier für ihn.«
    Als die rumänischen Schwestern verschwunden waren, hatte Pnina Jo’ela bei der Arbeit angerufen. Sie hatte versucht, die Angst in ihrer Stimme zu zügeln, als sie sagte: »Weißt du, die Rumäninnen haben ihren Laden zugemacht, jetzt ist dort eine Pizzeria, und ich weiß nicht, wohin sie verschwunden sind und was mit ihnen los ist.« Jo’ela hatte etwas Unverbindliches geantwortet. »Dreißig Jahre, über dreißig Jahre, und plötzlich sind sie verschwunden, was weiß man schon von den Menschen!« hatte Pnina ins Telefon gesagt, hatte das Rascheln von Papieren auf der anderen Seite gehört und gewußt, daß Jo’ela nichts verstand. Und obwohl ihr klar war, daß ihre Tochter beschäftigt war, und obwohl Jo’ela nur ein »Aha« murmelte und zweimal zerstreut: »Was du nicht sagst«, konnte Pnina nicht aufhören zu reden. »Was weiß man schon von den Menschen!« wiederholte sie und wagte sogar zu sagen: »Ich habe keine Ahnung, was ich jetzt machen soll.« Doch Jo’ela antwortete nur: »Was hast du denn mit ihnen zu tun gehabt, alles in allem?«
    Wer solche Dinge verstand, war Hila. Am Schabbat,

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