So habe ich es mir nicht vorgestellt
Krampfadern freilegte, betrachtete sie ihre Beine, die einmal so schön gewesen waren. In der Küche summte die Neonröhre. Das Geschirr war abgespült, ohne daß sie registriert hatte, es getan zu haben, und die abgekühlten Fische standen bereits im Kühlschrank. Die gehackte Leber wartete noch, der Käsekuchen verströmte seinen Duft in der ganzen Wohnung, die Hühnersuppe brodelte im Topf, und Pnina hatte das Gefühl, noch nicht einmal genug Kraft zu haben, um den Gasherd auszumachen, geschweige denn darauf zu warten, daß die Suppe abkühlte.
Langsam schnitt sie sich eine Scheibe von dem Brot ab, das sie morgens in den Kühlschrank gelegt hatte, und bestrich es dünn mit Margarine und Erdbeermarmelade, die Hilas Rubi selbst gekocht hatte. Sie bereitete sich einen blassen Tee, probierte einen Löffel, starrte die Wohnungstür an und versuchte, sich durch gleichmäßiges Kauen und ständiges Rühren des Tees mit dem Löffel zu beruhigen. Das Brot war hart und schwer zu kauen, und ihr fiel ein, daß sie dringend zum Zahnarzt gehen mußte, wegen der Brücke, die wacklig geworden war. Sie betrachtete die kleinen braunen Flecken auf ihrem Handrücken, einer war ziemlich groß, und dachte, daß die Hände der alten Frauen so ausgesehen hatten, als sie noch ein Kind war und sich nicht vorstellen konnte, selbst einmal solche Hände zu bekommen. Sie berührte den Ehering, den sie auch nach Chaims Tod nicht abgenommen hatte, und überlegte, was er wohl zu dem, was mit ihr geschah, gesagt hätte, und für einen Moment überdeckte die Trauer über seinen Tod die Angst, die ihr in der Kehle aufstieg, und sie fragte sich, warum sie, seit er gestorben war, niemanden mehr hatte, mit dem sie reden konnte, und was ihr zu tun übrigblieb, wenn ihre einzige Tochter nicht mehr mit ihr sprechen wollte und ihr einziger Sohn irgendwo in Los Angeles lebte, in einem Haus mit unzähligen Treppenaufgängen, und niemand war da, sei es auch nur, um ihr zu sagen, was mit ihr geschah und wie krank sie wirklich war.
Ihr Blick fiel auf eine seltsame Überschrift in der Zeitung, die sie am Kiosk neben dem Haus gekauft hatte, und ohne Brille las sie, daß eine Frau den Leiter der chirurgischen Abteilung eines Krankenhauses anklagte, weil dieser ihr irrtümlich eine Brust amputiert hatte. Pnina sah ganz deutlich Jo’ela vor sich, wie sie ihre rechte Brust abtastete, so, wie sie es ihr selbst beigebracht hatte, wie ihre Hand innehielt, als sie den Knoten spürte, und wie sie ratlos von einem befreundeten Arzt zum anderen lief, denn Ärzte können sich ja nicht selbst behandeln. Pninas Atem ging kürzer, während sie sich klarzumachen versuchte, daß bisher alles gutgegangen war, daß seit Chaims Tod vor fünf Jahren kein Unglück passiert war, daß außer seinem Tod und den Kriegen seit Jo’elas Hochzeit mit Arnon alles gut lief, daß sie fünf gesunde Enkelkinder hatte, die gut lernten, wohlerzogen waren und sogar hübsch und freundlich. Allerdings sprachen die beiden kleinen Jungen ihres Sohnes nur Englisch, und sie hatte sie, wegen der Entfernung und ihrer Angst vorm Fliegen, erst zweimal gesehen. Ihre Mutter hieß Annabell, ein langer und schwieriger Name, aber sie war offenbar gut zu den Jungen und zu ihrem Mann. Alles lief gut, und Arnon holte sie jeden Donnerstag ab, er kam immer direkt von der Firma aus zu ihr, lud die Körbe in den Kofferraum und nahm sie mit zu ihnen nach Hause, wo sie dann bis Sonntag morgen blieb, bis er sie schließlich wieder zurückbrachte in ihre Wohnung. Sie stellte keine großen Ansprüche ans Leben. Sie packte die Körbe aus, sie reinigte die Plastikgefäße, sie putzte die Wohnung – auch in den letzten Jahren hatte Jo’ela es nicht geschafft, sie dazu zu überreden, Hilfe anzunehmen. Zwei Tage brauchte sie immer, um Wohnzimmer und Schlafzimmer zu putzen, dann kamen Jo’elas Zimmer und das Bad an die Reihe, bis alles glänzte, und wenn sie die Küche geschrubbt hatte, wusch sie mit der Hand die Bettwäsche und die Unterwäsche, manchmal auch die schmutzige Wäsche der Kinder, rieb die Flecken, die Jo’elas Schula nicht herausbekam, und abends, beim Fernsehen, flickte sie Wäsche, und mittwochs fuhr sie mit zwei Körben zum Markt von Pardes Katz, um alles einzukaufen und zu kochen und für die Fahrt nach Jerusalem vorzubereiten.
Obwohl sie keine Bücher las, fast nie mit jemandem sprach und höchstens alle zwei Monate ins Kino ging, zu einer Nachmittagsvorstellung, flogen ihre Tage nur so vorbei. »Ist dir
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