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So habe ich es mir nicht vorgestellt

So habe ich es mir nicht vorgestellt

Titel: So habe ich es mir nicht vorgestellt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Batya Gur
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Staubflocken um das Bett. Sie überlegte sogar, ob sie vielleicht ihre Pläne ändern und erst nachmittags zu Doktor Groß gehen sollte, möglicherweise war der Besuch bei ihm wirklich nicht so dringend, und außerdem war er kein Facharzt für Kieferchirurgie, so daß seine Diagnosen ohnehin ein wenig zweifelhaft waren, und genaugenommen hatte sich ihre Angst verflüchtigt und einer inneren Gelassenheit Platz gemacht: Was passierte in ihrem Körper? Als sie an Alex dachte, spürte sie sogar eine kleine Freude, weil er vielleicht gerade dann anrufen würde, wenn sie unterwegs zu Jo’ela war, und nicht wüßte, wo er sie finden konnte, doch dann fing der Pianist im Haus gegenüber wieder an, den Schluß des ersten Satzes von Brahms’zweitem Klavierkonzert zu üben, und obwohl sie schon Tag um Tag den langsamen Satz gehört hatte und er Takt um Takt einzeln übte, trafen sie die Töne, als würde das Stück perfekt vorgetragen, als habe die Leere in ihrem Kopf nur auf diese Musik gewartet, um die Seele mit einem reinen Schmerz zu füllen, der nichts mit ihrem Körper und mit dem, was sich in ihm abspielte, zu tun hatte. Nun gelang es dem Spieler sogar, eine ganze Passage ohne Innehalten zu spielen, ohne Korrekturen, und Hila überlegte, daß sie, wenn sie über den Hof zu der Tür ginge, aus der diese Töne kamen, wohl eine Frau antreffen würde, keinen Mann, denn nur eine Frau konnte sich tagelang bemühen, um Brahms so zu spielen, wie er gespielt werden sollte, auch wenn es keine Chance gab, daß sie es je wirklich konnte. Denn Brahms konnte nur von einem Mann richtig gespielt werden, so wie es noch andere Dinge gab, die Frauen nicht konnten, und sogar Jo’elas verächtliches Schnauben bei dieser Behauptung half da nichts, auch nicht, wenn sie beharrte: »Blödsinn, die Frage ist doch nur, ob der Pianist oder die Pianistin begabt ist, mit dem Geschlecht hat das nichts zu tun, Clara Schumann selbst hat das erste Klavierkonzert gespielt, beim zweiten war sie schon zu alt. Das ist wirklich eine seltsame Behauptung, ohne jede Logik, die Bemerkung einer romantischen Frau, die noch immer ihre Welt mit Männern bevölkert, die Rüstungen tragen und mit Pferden über hohe Mauern springen!« Das wisse sie, Hila, doch selbst.
    Hila stand am Fenster, an dem dunkelbraun gestrichenen Rahmen, von dem die Farbe abblätterte, und betrachtete ihren breiten Silberring, überlegte, wie dumm es doch wäre, ihn ins Meer zu werfen, und wie schade, sich von ihm zu trennen, und wie gefährlich andererseits, ein Gelöbnis nicht zu halten, am besten war es wohl, die Sache erst einmal zu verschieben. Vielleicht morgen, versprach sie der dunklen Macht, der sie es gelobt hatte und die jetzt verschwunden war.
     
    Hätte Hila nicht auf dem hohen Sitz hinter dem Fahrer gesessen, hätte sie von dem ganzen Tumult nichts mitbekommen. Hätte sie zwischen den anderen Fahrgästen an der rückwärtigen Tür gestanden, hätte sie sich die Beulen an Armen und Beinen vielleicht erspart, obwohl auch die Leute, die hinten im Autobus saßen, also weit weg von der Stelle, wo der Streit losging, gegen ihren Willen hineingezogen wurden. In dem Verkehrsstau, mitten zwischen den Autos, die die Durchfahrt von der Herzlallee nach Ramat Eschkol verstopften, kurz vor der Einfahrt zur Ausfallstraße, pflügte ein Bulldozer den Asphalt auf und häufte Kies und Sand um das große Loch mitten in der Straße, neben der Ampel. Ein Verkehrspolizist stand dicht neben dem Autobus und hielt mit der Hand die wartenden Autos zurück. Der Fahrer, ein junger Mann mit geistesabwesendem Gesicht unter einer grauen Schirmmütze, kratzte sich an der Nase und drehte dann am Knopf des Radios, bis er eine Station gefunden hatte. Der Sprecher sagte erst etwas auf Englisch, bevor ein lauter Gesang verkündete, daß nichts ewig dauere, nicht einmal der November. Eine ältere Frau drängte sich nach vorn und blieb neben dem Fahrer stehen. »Entschuldigen Sie bitte«, sagte sie mit einer heiseren, atemlosen Stimme und strich mit beiden Händen über die Metallsäule neben ihm, »entschuldigen Sie bitte.«
    Der Fahrer drehte sich um und warf ihr einen gelangweilten Blick zu, ganz ohne Neugier, als erwarte er eine lästige Frage.
    »Können Sie bitte das Radio ausmachen?« verlangte die Frau, und ihrer Stimme war anzumerken, daß sie sich nur mühsam beherrschte. Dabei starrte sie die runden braunen Hände des Fahrers an, als gehe etwas Erschreckendes von ihnen aus.
    Mit einer heftigen Bewegung

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