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So habe ich es mir nicht vorgestellt

So habe ich es mir nicht vorgestellt

Titel: So habe ich es mir nicht vorgestellt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Batya Gur
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genau.« Der Kummer und die Angst in der Stimme und die Erinnerung an das kleine, faltige Gesicht Pninas, die sich über das Essen beugte, appetitlos in dem kleingeschnittenen Fleisch herumstocherte, es widerwillig in den Mund schob, kaute und dem Gespräch beim Schabbatessen zuhörte, an das schüchterne Lächeln, das sie manchmal zeigte, auch das Erröten, wenn Hila von den Liebesabenteuern in ihrer Jugend erzählte, rührten ihr Herz, deshalb zögerte sie, bevor sie sagte: »Aber wenn jemand, der nicht daran gewöhnt ist, Grippe bekommt, dann fühlt er sich wirklich schwach und deprimiert, und das kann dazu führen, daß man mit niemandem sprechen möchte, das ist nicht gerade außergewöhnlich, und jetzt, in dieser Übergangszeit,
    sind viele Leute krank.«
    »Ich wäre hingefahren, ich könnte durchaus auch mal mit dem Autobus fahren, aber ich will nicht … Sie hat gesagt … sie hat gebeten … Sie hat durch Ja’ara ausrichten lassen, daß ich nicht kommen soll … Und mit Gewalt geht das nicht … Es lohnt sich nicht, sie zu überreden.«
    Nein, mit Gewalt geht es nicht, dachte Hila und fragte sich, wer überhaupt von Gewalt geredet hatte, um welche Gewalt es ging und was wäre, wenn Alex gerade anzurufen versuchte und nur das Besetztzeichen hörte. Doch zu Pnina sagte sie nur: »Hat sie dich wirklich gebeten, nicht zu kommen? Nun, das wird sie nur getan haben, weil sie sich Sorgen um dich macht, um deine Gesundheit. Das letzte, was du kriegen solltest,
    Oma Pnina, wirklich das letzte, ist eine Grippe, ich habe schon lange daran gedacht, mit dir über eine Impfung zu reden, jeder Kassenarzt wird bereit sein, dich …«
    »Du denkst bestimmt, ich bin verrückt.« Pnina ignorierte Hilas Beschwichtigungsversuche und sprach weiter, mit sorgfältig gewählten Worten, während Hila ihren Hals betastete und dann das braune Muttermal auf ihrer Schulter berührte. Es kam ihr vor, als sei es in der letzten Zeit gewachsen. »Es ist nicht, daß ich mir wegen einer Grippe Sorgen mache, ich weiß, daß das keine Grippe ist. Ich sage dir, daß ich es weiß. Mütter wissen so etwas.«
    »Bei allem Respekt«, sagte Hila, ihre Ungeduld zügelnd, »deine Tochter hat das Recht, ein normaler Mensch zu sein und einmal im Leben krank zu werden.« Sofort tat ihr die Bemerkung leid. »Ich meine«, fügte sie weicher hinzu, »daß viele Leute jetzt Grippe haben, die Krankheit ist, wie man weiß, nicht besonders gefährlich.«
    »Ja, aber sie hat kein Wort mit mir gesprochen!« klagte Pnina. »Sie hat nicht angerufen. Kann man etwa nicht sprechen, wenn man Grippe hat? Ist es etwa eine schwere Angina? Es ist eine Grippe, und da kann man sprechen.«
    »Manchmal«, überlegte Hila laut, »wird Grippe von einer Depression begleitet, vielleicht ist es das.«
    »Was? Was hast du gesagt?« fragte Pnina nervös.
    »Manchmal wird man auch ein bißchen depressiv, wenn man eine Grippe hat, und dann will man mit keinem sprechen. Ich bin sicher, auch wenn ich es versuche, wird sie …«
    »Schula hat gesagt, Jo’ela kann mich nicht holen, und Arnon ist ja beim Militär. Deswegen habe ich gesagt, ich schaffe den Weg schon allein, ich werde kommen und ihr mit den Kindern helfen, aber da hat Schula gesagt, ich soll nicht kommen, damit ich mich nicht anstecke und weil Arnon nicht da ist.«
    »Siehst du? Arnon wäre nicht weggefahren, wenn es ein Problem gäbe«, unterbrach Hila sie.
    »Nicht zum Reservedienst? Was hätte er sagen können? Ich kann nicht kommen, mit meiner Frau stimmt was nicht?« wandte Pnina ein. »Aber egal, was ist, ich bin alles andere als ruhig.«
    »Du bist alles andere als ruhig«, wiederholte Hila ihre Worte und hoffte, daß nichts von dem, was plötzlich in ihr aufstieg, zu merken war. Wer ist hier überhaupt ruhig? Doch dann dachte sie an die zusammengekniffenen Augen, die dicken, braunen Stützstrümpfe wegen der Krampfadern und meinte die Einsamkeit der Frau förmlich durch das Telefonkabel fließen zu sehen. »Du hast keinen Grund zur Unruhe«, versicherte sie. »Aber ich werde Jo’ela anrufen und mit ihr sprechen, und dann rufe ich dich zurück.«
    »Ich habe mir gedacht, daß … wenn du mit ihr sprichst, wenn du mir Bescheid sagst … dann kann ich mich beruhigen …«
    »Ja, ich werde mit ihr sprechen. Und dann rufe ich dich sofort an.«
    »Und wenn sie nicht ans Telefon geht?« fragte Pnina ängstlich. »Eben gerade ging dort niemand ans Telefon, und ich …«
    »Du hättest lieber, daß ich selbst hinfahre und

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