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So habe ich es mir nicht vorgestellt

So habe ich es mir nicht vorgestellt

Titel: So habe ich es mir nicht vorgestellt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Batya Gur
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zu müssen. Man konnte es heimlich betrachten und sogar sehen, daß es schön war, sie gern haben. Es gab eine Stimme in ihr, die sich danach sehnte, mit ihr zu sprechen, ihr zu danken, denn sie spottete wirklich nie und zerstörte nichts, aber in diesem Moment war es schwer, sie anzublicken. Jo’ela wandte den Kopf zum Fenster.
    »Der von Tschechow, aus ›Die Dame mit dem Hündchen‹. Als der anfängt zu erzählen, was für eine wunderbare Frau er auf Jalta getroffen hat, sagt sein Freund, daß der Stör wirklich verdorben gewesen ist. Das ist nicht wie bei uns, wenigstens nicht genauso, aber ich gebe mir Mühe, ich will es für dich, es ist mir wichtig. Du sollst es auch für mich wollen. Geh mit mir zu ihm, auch wenn es nur mir zuliebe ist.«
    Jo’ela hörte die Worte, sie schwollen an, wurden leiser. Sie rührten an eine geheime Sehnsucht. Sie bemüht sich, zuzuhören, zu antworten. Die Worte hören sich richtig an. Dumme Gedanken: Wie wird Hila es wagen, in solchen Kleidern in der Stadt rumzulaufen? Was wird sein, wenn jemand sie bei diesem Heiler sieht, irgendein Patient, jemand aus dem Krankenhaus? Was wird man über sie denken? Was wäre, wenn …
    »Ich bin nie … auch nicht, als ich ganz jung war … Ich suche nicht nach solchen Sachen.«
    »Genau deshalb bist du so erschrocken«, sagte Hila trocken. »Hättest du nach ihnen gesucht, hättest du selbst gemerkt, wie interessant sie sind und was alles möglich ist. Du hast keine Angst, darüber zu diskutieren, daß der Heiler ein Scharlatan ist oder daß er spinnt, aber du fürchtest dich vor der Möglichkeit, daß etwas dran sein könnte, daß er etwas bei dir entdecken könnte.«
    »Tu mir einen Gefallen«, sagte Jo’ela zornig, »und hör auf mit … mit diesem Psychologisieren.« Sie fuhr sich mit dem Handrücken über die brennenden Wangen. »Man könnte meinen, du seist die Sorgentante eines Frauenjournals der übelsten Sorte.« Wieder war es die andere Stimme, die aus ihr herausgebrochen war und ihr die Worte im Mund umgedreht hatte. Auf dem Weg von innen nach außen waren sie giftig geworden.
    »Nur weil sich die Sachen bekannt oder sogar richtig anhören, vielleicht auch etwas oberflächlich, sagt das doch noch lange nicht, daß sie nicht stimmen. Und daß du schreist, gibt dir auch nicht mehr recht.« Hila raffte ihren Rock mit einer eleganten Bewegung. »Und jetzt tu mir einen Gefallen und fahr hier weg. Es gibt einen Laden, in dem man die Negative in einer halben Stunde entwickelt, du wirst auf mich warten. Und dann, bitte, fährst du mit mir zusammen hin.«
     
    Das Café war eigentlich ein Restaurant. Wegen der Uhrzeit kamen immer mehr Gäste, die zu Mittag essen wollten, deshalb blieb die Kellnerin, den Block in der Hand, am Tisch stehen, nachdem Jo’ela um einen Tee mit Zitrone gebeten hatte, und wartete auf ihre weitere Bestellung. Aber Jo’ela hatte keinen Appetit. »Das ist einstweilen alles«, sagte sie, zufrieden, daß sie es geschafft hatte, auf eine weitere Bestellung, die nur die Erwartungen der Kellnerin erfüllt hätte, zu verzichten und sogar die Mundwinkel zu einem Lächeln zu verziehen. Die Kellnerin zögerte und warf ihr noch einen Blick zu, bevor sie den Stift in die Hosentasche steckte und sich um andere Gäste kümmerte.
    Am Tisch gegenüber saßen drei Männer, zwei um die fünfzig, der dritte jünger, und studierten konzentriert die Speisekarte. Neben ihnen stand nun die Kellnerin, lächelte und sagte etwas, und der Jüngere schlug mit einem Knall die Speisekarte zu. Die Kellnerin notierte die Bestellungen, und die beiden älteren Männer nickten. Sie blickten ihr nach, als sie zur Durchreiche ging und etwas in die Küche hineinrief. Der jüngere Mann hob einen Aktenkoffer auf seine Knie, einer der beiden anderen, ein Mann in einem Anzug, hielt ihn mit einer raschen Handbewegung zurück. Der Jüngere stellte den Aktenkoffer wieder neben sich und schlug sich laut auf die Schenkel. Die Kellnerin brachte hohe Gläser, stellte sie auf den Tisch und goß in das Glas des Mannes mit dem Anzug etwas Weißwein. Er probierte, nickte mit verhaltener Zufriedenheit, und sie goß die Gläser voll. Die drei tranken. Jo’ela hatte das Gefühl, als seien sie von Brüderlichkeit und Sicherheit eingehüllt, überzeugt von der Wichtigkeit dessen, was sie taten und was man von ihnen erwartete. Der ältere Mann, der ohne Anzug, erzählte vermutlich einen Witz, denn die beiden anderen lachten laut, während der Erzähler mit unbewegtem

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