So habe ich es mir nicht vorgestellt
Küche sein mußte, wo sie offenbar die Frikadellen briet, deren fettiger, scharfer Geruch die ganze Wohnung erfüllte.
Schon im Flur befand sich ein Sammelsurium verschiedener Dinge, von hier und von dort, von der neuen Heimat und der alten, das rührende Durcheinander eines Menschen, der sich mit Gewalt entwurzelt hat, der hastig die Reste seines früheren Lebens in einer großen Holzkiste verstaut und hier ausgepackt und abgestellt hat, in der Hoffnung, daß sie, wie er auch, weiterleben als Zeugen eines früheren Daseins. Eine Reihe von Samtstühlen von dort neben einem Korbsessel von hier, in der Ecke, hinter einem Fernseher, ein schwerer großer Schrank aus rötlichem Holz, auf den Sonnenlicht fiel, so daß man deutlich die trüben Stellen an den Glastüren sah, ebenso die Staubschicht auf den wenigen dicken, in Leder gebundenen Büchern dahinter, an die sich ein Silberkelch und ein großer Samowar lehnten.
Ein dicklicher Junge, der von irgendwoher aus der Wohnung auftauchte und etwas auf Russisch rief, hielt eine Schirmmütze in der Hand und betrachtete die hebräischen Buchstaben, die verkündeten, alle Menschen in ganz Israel seien Freunde. Auch diese Mütze, blauweiß, die er in der Hand drehte, zeigte dieses seltsame Durcheinander, denn auf die hebräischen Buchstaben folgten kyrillische. Eine alte Wanduhr tickte laut in die Atempausen einer weichen Stimme, die im Radio in der Küche Nachrichten auf Russisch verlas.
Als Jo’ela Hila anschaute und die aufgeregte Nervosität wahrnahm, mit der sie ihre Ringe an den Fingern drehte, hatte sie das Gefühl, etwas Schönes und Erfreuliches zu verderben. Die Leichtigkeit, mit der sie den von Hila angebotenen anthropologischen Standpunkt akzeptiert hatte, bedrückte sie jetzt. Ihre eigene Kälte störte ihre Gelassenheit. Sie empfand noch nicht einmal Neugier. Wegen dieser Erstarrung versuchte sie, sich selbst zu erschrecken, den Gedanken zu mobilisieren, daß er etwas über sie wissen könnte, was sie selbst nicht wußte. Aber sie erschrak nicht. Der Gedanke kam ihr hier, auf dem Flur, zermürbend vor. Der einzig akzeptable Standpunkt, der ihr Warten rechtfertigen konnte, war die kühle Neugier eines Forschers, der Material für eine Arbeit sammelt. Ein ganz anderer Standpunkt als das sichtbare Vergnügen und die kindliche Neugier, die Jo’el gezeigt hatte, als er über die Filme sprach, die er noch drehen wollte. Er könnte das Bindeglied zwischen Hilas Anhänglichkeit und ihrer eigenen Kälte sein.
Beim Gedanken an Jo’el empfand sie eine plötzliche Schwäche in den Oberschenkeln, die ihr peinlich war. Jetzt, in diesem Moment, rieben sich Menschen aneinander, sagten sich irgendwelche Worte, berührten einander, streichelten sich gegenseitig in einem Verlangen, das lediglich Teil eines kosmischen Planes war. Es war erniedrigend, so daran zu denken, aber immerhin besser, als sich zu irren, was die Möglichkeiten betraf, die sich hinter dieser Anziehung verbargen. Auch wenn sie sich mit ihm in einem geschlossenen Zimmer befände, nachdem andere Hindernisse beseitigt wären, zum Beispiel in einem Hotelzimmer, sogar wenn es ein ganz besonders zauberhaftes Gebäude wäre, mitten in einem Park, zu einer Stunde, in der die Sonne die Wände golden färbt, auch dann, auch wenn alles schön wäre und man die Hürden schnell übersprungen hätte – Eintrag in die Gästeliste des Hotels, die Bezahlung, wie im Kino –, würde trotzdem, für einen Moment, das Reiben eines Knies am anderen im Mittelpunkt stehen, eine Hand, die eine Brust berührt, Lippen, die aufeinandergedrückt werden, eine große Erregung, die Illusion von Nähe und Gemeinsamkeit. Er würde all ihre Mängel sehen. Auch wenn sie jünger wäre. Sich vorzustellen, daß eine Frau ihres Alters, mit einem Netz blauer Äderchen auf den Oberschenkeln und weicher Haut an den Armen, einen Mann sehnsüchtig anblickt und ihm Dinge zuflüstert. Wenn sie ihrem Verlangen, ihn zu berühren, nachgäbe, wäre sie eine von Millionen Menschen, die ein momentanes Bedürfnis befriedigen (man kann es in der Erinnerung nicht nachempfinden, es noch einmal zu erleben ist unmöglich, und eine Weiterführung verwischt die Bilder) und sich dabei einbilden, gemeinsam vor Leidenschaft zu brennen. Dieses Brennen verbirgt für einen Moment die Trennwand der Fremdheit, die sich aber blitzschnell wieder aufbaut, und zwar nicht wegen der Schwerfälligkeit, mit der Knöpfe oder Reißverschlüsse geöffnet werden, sondern wegen ganz
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