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So habe ich es mir nicht vorgestellt

So habe ich es mir nicht vorgestellt

Titel: So habe ich es mir nicht vorgestellt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Batya Gur
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Gesicht sprach. Wieder nahm der Jüngere den Aktenkoffer auf die Knie, die beiden anderen blickten ihn erwartungsvoll an. Mit welchem Ernst sie das Urteil erwarteten und, mit geblümten Krawatten und Aktenkoffern, ihre eigene Schwäche zu verdecken suchten. Sie arbeiten an Projekten, sie zeigen der Welt eine Brieftasche aus Leder mit einer ganzen Sammlung verschiedenster Kreditkarten.
    Das Mitleid, das Jo’ela beim Anblick dieser diensteifrigen Männer empfunden hatte, begleitete sie auch, als sie zum Nachbartisch hinüberblickte und dem Gespräch der beiden Frauen im mittleren Alter lauschte, die da saßen. Sie machten den Eindruck einsamer Frauen, die krampfhaft nach einer konstruktiven Beschäftigung suchen. Essen in einem Restaurant und vielleicht anschließend die Nachmittagsvorstellung in einem Kino. Jo’ela beobachtete aus den Augenwinkeln die Frauen, eine hatte eine große Lacktasche über die Stuhllehne gehängt, die andere strich sich gerade das reizlose Kleid glatt, das ihre dicken Hüften betonte, und teilte der anderen mit, daß morgen ihre Enkel kämen. Sie habe, gab sie zu, die Schokoladentorte zum Geburtstag des Jüngsten schon fertig, sie müsse nur noch das Mittagessen kochen, was sie aber lieber erst am Tag des Besuchs machen wolle, »frisch schmeckt es doch besser, und ich will Schnitzel machen«. Jo’ela spürte, wie ihr Mitleid verschwand, sie kam sich lächerlich vor. Die Frau mit der Lacktasche fragte: »Erst die Eier und dann das Mehl oder umgekehrt?« Die Gefragte schloß den Mund, kniff die Augen zusammen, hob die dünnen Brauen, zog ihren Stuhl näher zum Tisch, beugte sich vor und verkündete mit ernster Stimme: »Erst das Mehl und dann die Eier und am Schluß Semmelbrösel, aber es ist wichtig, daß das Öl richtig heiß und die Schnitzel gut geklopft sind.«
    »Natürlich, ich werde es meinem Mann sagen«, meinte die Taschenbesitzerin und fügte erklärend hinzu: »Er ist in Pension und hat nichts zu tun, ich werde ihm sagen, daß er die Schnitzel ganz dünn schneiden muß.« Dann rückte auch sie näher zum Tisch, schlang ihre Beine um ein Tischbein und verkündete, sie müsse unbedingt noch etwas fragen. Die andere blickte sie erwartungsvoll an. Auch die Fragerin sah gespannt aus, gefaßt auf die Möglichkeit, keine Antwort zu bekommen, aber die demonstrierte Aufmerksamkeit ihrer Begleiterin schien sie doch zum Weiterreden zu ermuntern. »Ich kann es kaum glauben«, sagte sie, die Besitzerin der Handtasche, deren Mann bereits in Pension war, »daß drei Minuten von jeder Seite ausreichen. Ist das Fleisch denn dann wirklich durch?« Der Dicken war die Erleichterung anzusehen, sie lehnte sich im Stuhl zurück und versprach in begeistertem, bestimmendem Ton, drei Minuten von jeder Seite seien genau richtig, damit das Fleisch durchgebraten, aber saftig sei. Eine Antwort, die die Fragende mit zweifelndem Gesichtsausdruck entgegennahm, aber es war klar, daß sie nicht wagen würde, ihre Frage zu wiederholen. Der Zweifel verschwand erst, als die andere hinzufügte: »Natürlich nur bei Hühnerschnitzel, nicht bei Putenfleisch.«
    »Natürlich bei Hühnerschnitzel«, sagte die andere gekränkt.
    »Und es muß wirklich dünn geschnitten sein.«
    »Ich werde es meinem Mann sagen.« Die Frau ließ das Tischbein los, lockerte ihre Beine, breitete die Arme aus und sagte mit einem unerwartet schlauen und hochmütigen Lächeln: »Denn was kann eine Frau schon von einem Mann erwarten?«
    Jo’ela lächelte verwirrt und legte schnell die Hand vor das Gesicht, denn es gab nichts Schlimmeres, als wenn eine Frau ihres Alters irgendwo in der Öffentlichkeit saß und plötzlich in sich hineinlächelte. Es war auch besser, die Beine unter der Tischdecke zu verbergen und sich leicht zusammenzukauern, denn ein großer Körper, auch wenn er nicht dick war, fiel doch sehr auf, wenn man allein am Tisch saß, mitten unter anderen Menschen. Ihre Hosen waren zu dünn. Gegen ihren Willen breitete sich das Lächeln in ihr aus und verdrängte das Elend. Plötzlich sah alles anders aus. Erstaunlich, fast erschreckend, wie schnell sich ihre Stimmung wandelte. Bedeutete das, daß die Schwermut, der Rückzug ins Bett, die große Verzweiflung, die sie jetzt aus einem gewissen Abstand heraus betrachtete – die aber jederzeit wiederkommen konnten, die hinter den Dingen lauerten –, nichts anderes waren als ein Anfall von gekränkter Verwöhntheit, von Weichlichkeit? Schließlich mußte keiner dieser Leute, weder die

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