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So habe ich es mir nicht vorgestellt

So habe ich es mir nicht vorgestellt

Titel: So habe ich es mir nicht vorgestellt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Batya Gur
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drei Männer noch die beiden Frauen, zwangsläufig unglücklich sein, auch wenn sie natürlich manchmal unglücklich waren. Und was sich hinter der harten Frage der Frau mit der Handtasche verbarg, war eine ganze Welt, zerdrückt, zerknittert, verdrängt, ein immer wiederkehrender Kummer, Träume, die diese Frau einmal gehabt hatte, ebenso wie ihre Freundin, ebenso wie viele andere Frauen, zu allen Zeiten und an allen Orten, rosafarbene Träume, in Satin und Gold gewickelt, wie ein Bettüberwurf im tiefsten Amerika. Diese Träume, die nicht von den Männern erfunden wurden, denn sie waren es nicht, die ihre Erfüllung versprochen hatten, werden von einer Generation an die nächste weitergegeben, ohne Worte, von der Mutter an die Tochter, wie ein ewiges Bedürfnis, bei dessen Befriedigung die Mutter zwar versagt hat, das sie aber wie einen einzigartigen Schatz weitergibt. Vielleicht wird es ja der Tochter gelingen, aus ihren Haaren, aus ihren weichen Brüsten, aus dem trockenen Stroh, von dem das Zimmer voll ist, Gold zu spinnen. Und dann kommt der Prinz. Sie mußte Hila unbedingt von Jo’el erzählen, aber wie sollte das gehen, nach all ihren Moralpredigten wegen Alex? Und warum sollte sie nicht den Heiler aufsuchen, für sich selbst, warum sollte sie es nicht ausprobieren? Sie war zwar überzeugt, daß er ein Scharlatan war, ein Schaumschläger, aber dennoch bestand eine kleine Möglichkeit, wenn auch nur theoretisch, daß er etwas herausfand. Hila hatte ihn als einen Menschen beschrieben, der durch den Körper sehen konnte, dessen Hände, ohne Berührung, alles fanden, auch wenn auf einem Röntgenbild nichts zu sehen war. Man mußte es probieren. Denn eigentlich war die Frage: Was hat eine Frau von einer Frau?

12. Im Haus des Heilers
     
    Wäre sie allein gekommen, dann wäre Jo’ela vielleicht schon in diesem Moment wieder weggegangen, statt dazustehen und das Stück Papier mit den kyrillischen Buchstaben anzustarren, das unter der Klingel festgeklebt war. Als Hila auf die Klingel drückte, erschrak Jo’ela wieder bei dem Gedanken, was passieren würde, vielleicht begegnete sie einer früheren Patientin. Es war tatsächlich die Frage, ob sie, aus beruflicher Sicht, überhaupt dazu berechtigt war, hier zu sein. Im Treppenhaus, vor der verschlossenen Tür, roch es nach Essen. »Frikadellen mit Zwiebeln«, kicherte Hila. »Na und? Auch Zauberer müssen etwas zu Mittag essen.«
    Gegen Verwirrung schützt man sich mit lauten Worten, man überspielt durch Aufregung das, was man eigentlich erwartet, man versucht, sich zu immunisieren, von vornherein auf die Enttäuschung gefaßt zu sein, als ließen sich die leisen Erwartungen davon überzeugen. Auch wenn es nicht nach Frikadellen röche, auch wenn die Wohnung nicht im dritten Stock eines gewöhnlichen Blocks in einer Neubausiedlung läge, hätte Jo’ela nicht wirklich an die besonderen Kräfte des Heilers glauben können. Stünde sie jetzt zum Beispiel vor einem runden Wüstenzelt, vor einer grauen Wagenplane, fühlte sie unter ihren Füßen feinen, gelben Sand, stünde sie zwischen hohen Felsen vor einer Höhle mit einem von dichtem Gestrüpp verborgenen Eingang oder vor einer schottischen Burg auf einem kahlen Hügel, wäre es dann leichter, ganz naiv zu glauben, was er sagen würde? Oder ist dieser normale Anblick, der Mangel an geheimnisvoller Pracht, ein weiterer Beweis für die tatsächliche Existenz einer wunderbaren Erscheinung in dieser Welt, die sich wissenschaftlich nicht erklären läßt? Es gibt trotz allem das Wunderbare im Alltäglichen, trösten wir uns mit Anstrengung, wir müssen nur danach suchen, nach den Anzeichen des Wunders, das sich unter dem Erwarteten, dem Bekannten verbirgt.
    Schwere Schritte näherten sich der Tür, und die Worte verflogen angesichts der Frau, die vor ihnen stand. Ihre hellen Haare, auf Halshöhe abgeschnitten, bildeten eine gerade, harte Linie, ihr schwerer Körper versperrte den Eingang, während sie Jo’ela und Hila ohne großes Interesse musterte.
    »Wir sind angemeldet«, versuchte Hila zu erklären und blickte über die breite Schulter hinweg ins Innere der Wohnung.
    Das Mißtrauen in den hellen Augen der Frau stand in deutlichem Gegensatz zu ihrem weichen, gemurmelten »Bitte«, zu der überraschend jungen Stimme und der Leichtigkeit, mit der sie ihren großen Körper zur Seite bewegte, den Weg freigab und in ihren Hausschuhen in ein Zimmer schlurfte, das, nach dem Geräusch brutzelnden Öls zu schließen, die

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