So habe ich es mir nicht vorgestellt
anders«, erklärte er willig, als habe er den Spott in ihrer Stimme nicht wahrgenommen. Aber von der Zyste hatte er gewußt. Das war eine Tatsache. Und schließlich konnte es ihr doch egal sein, ob die Gelassenheit auf Hilas Gesicht nun das Ergebnis einer Autosuggestion war. Und wie er darauf kam, bei ihr mangelnde Elastizität festzustellen, war nicht schwer zu erklären, auch nicht die Sache mit dem wissenschaftlichen Beruf. Nur das mit der Zyste. Angenommen, er konnte wirklich manchmal richtig diagnostizieren, dann hieß das noch lange nicht, daß er auch heilerische Fähigkeiten besaß. Wenn sie jetzt nicht ausdrücklich sagte, was sie meinte, würde Hila sich weiter verführen lassen, würde bittere Kräuter aufkochen, genauso lange, wie er es vorschrieb, würde den Tee durchsieben, daran glauben, daß ihre Ängste mit jedem Schluck geringer würden, und sich nicht dafür interessieren, woher diese Ängste kamen, Hauptsache, sie lösten sich auf. Aber sie, Jo’ela, interessierte sich dafür. Vielleicht weil sie neidisch war. Neidisch auf Hila, die sich verführen ließ. Wir überlassen uns viel zu leicht fremden Menschen, gerade wegen ihrer Fremdheit.
Hila würde sich weder von den Frikadellen stören lassen noch von der ganzen Wohnung oder der orangefarbenen Resopalplatte auf dem Kinderschreibtisch. Sie würde auf das Muttermal zwischen den Augenbrauen hereinfallen, auf die verschwommenen Sätze, die man interpretieren konnte wie ein Orakel, auf die Bücher auf den Regalbrettern zwischen den Metallständern, vor allem auf die Schriften von Paracelsus, die sie zwischen anderen, rot eingebundenen Büchern entdeckt hatte. Aber sie würde sich weigern, Blutanalysen oder Röntgenaufnahmen zu glauben. Nach allen Bemühungen und Untersuchungen kam dieser Mann, streckte die Hände aus, ohne sie zu berühren, und sie verlieh ihm den Glanz des Wissenden. Elektrische Strömungen, man mußte es akzeptieren, daß sie von den Händen aufgenommen wurden, auch ohne Berührung.
Hila zog mit einer heftigen Bewegung ihre Leinentasche zu sich und nahm den weißen Umschlag heraus, den sie im Wartezimmer tief unten in der Tasche gefunden hatte, nahm drei Fotos heraus und legte sie vor dem Mann auf den Tisch. Er beugte sich über die Fotos und betrachtete sie verblüfft.
»Sie haben mir beim letzten Mal gesagt, daß Sie auch auf Fotos etwas erkennen können«, sagte Hila.
»Ich kann, ich kann«, sagte der Mann beruhigend, ohne den Blick von den Fotos zu lassen. Es dauerte lange, bis er den Kopf hob.
»Aber das ist nicht Ihre Tochter?« erkundigte er sich erschrocken.
»Nein, nein«, beeilte sich Hila, ihn zu beruhigen.
»Und ihre?«
»Nein, auch nicht. Keine Verwandte, wir wollen es nur wissen.«
Er schloß die Augen, dann machte er sie wieder auf und bewegte die Hand über den drei Bildern hin und her, bewegte auch den Kopf von einer Seite zur anderen, zog ungläubig die Stirn in Falten, dann blickte er die Fotos wieder an.
»Was ist sie von Ihnen?« erkundigte er sich vorsichtig. »Kusine?«
Das Gesicht des jungen Mädchens war auf dem Foto klar und deutlich zu erkennen, auch die dünnen Streichholzbeine, die den schlaffen Körper trugen. Das Gesicht des Mannes verlor den Ausdruck fröhlicher Gelassenheit, er sah bedrückt aus. Jo’ela überlegte, ob er selbst etwas wahrnahm oder nur ihre eigene Furcht spürte.
Wieder bewegte er die Hand über den Fotos, dann sagte er entschuldigend: »Ich muß wissen, was sie für Sie ist, damit …«
»Ich habe Kopfschmerzen«, sagte Hila und griff sich mit beiden Händen nach der Stirn.
»Eine Stunde«, versprach er. »Noch eine Stunde, dann vorbei.«
»Sie können also keine Diagnose stellen«, sagte Jo’ela. »Nach dem Foto können Sie es nicht.«
Er zuckte mit den Schultern. »Ich müssen erst wissen, was dieses Mädchen für Sie ist. Oder sie wirklich sehen.« Zweifelnd fügte er hinzu: »Das ist doch ein Mädchen, nicht wahr?«
Am Ende des Flurs fragte Hila: »Nun? Was sagst du?«, und als Jo’ela flüsternd antwortete: »Wir werden draußen darüber reden, nicht hier«, entdeckte Hila das junge Paar mit dem Baby auf dem Arm. Sie stand schon am Ausgang, als sie die beiden bemerkte und mit fröhlichem Gesicht begrüßte, obwohl sie längst beschlossen hatte, sie wegen ihrer Distanziertheit zu ignorieren. Aber die Überraschung und die Schwäche, die sie nach dem Treffen mit dem Heiler fühlte, die Schlaffheit ihrer Muskeln und der feuchten Hand, mit der sie noch
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