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So habe ich es mir nicht vorgestellt

So habe ich es mir nicht vorgestellt

Titel: So habe ich es mir nicht vorgestellt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Batya Gur
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…«
    Hila nickte. »Ja, es steht in der Bibel, daß Gott am Anfang die Welt erschuf.«
    »Richtig, erschaffen«, murmelte der Mann und schrieb, nicht in hebräischer Schrift, das Wort auf einen Zettel und wiederholte langsam ein paarmal die Silben, bevor er erfreut aufblickte.
    »Wenn man Angst vor ihm hat, kann man ihn erschaffen? Die Angst kann Krebs erschaffen?« wollte Hila plötzlich wissen.
    »Ja«, sagte der Mann, flocht die Finger ineinander und nickte mehrmals, wobei seine Schultern breiter wurden und das Kinn die Brust berührte. Plötzlich hob er den Kopf und breitete hilflos die Arme aus. »Ja, so ist es.«
    »Aber wie kann ich die Angst beherrschen?« widersprach Hila.
    Der Mann legte die Hände zusammen. »Das ist schwer. Aber möglich.« Von seinem Platz hinter dem Schreibtisch aus beugte er sich vor zu dem Korbstuhl, streckte die Hand aus und ließ sie, als wäre sie ein Lichtstrahl, vor Hilas Brust kreisen, dann horchte er, wie ein Arzt, der den Puls mißt, an seiner Hand. »Es gibt große Energie, wirklich große«, schloß er nachdenklich seine Diagnose ab.
    »Ich bin sehr müde«, wandte Hila ein, »die ganze Zeit sehr müde. Soll das so sein? Ist das normal?«
    »Sehr gut, das habe ich jetzt getan«, erklärte der Heiler. »Ich habe Energie genommen.«
    Der Ärger über ihre Freundin, die Gewißheit, daß Hila ihre Ängste mit suggestivem Gerede nährte, und der Wunsch, das beschämende, zweifelhafte Schnauben zum Schweigen zu bringen, ließen Jo’ela ihre Stimme zügeln. In interessiertem Ton, als gehe es um eine neue mikroskopische Untersuchung im Labor, fragte sie: »Wie machen Sie das?«
    Er betrachtete sie gutmütig und ernsthaft, geduldig, als warte er darauf, daß sie ihre Frage spezifizierte, aber sie richtete den Blick auf das Muttermal zwischen seinen Augenbrauen.
    »Wie mache ich was?« fragte er.
    »Wie nehmen Sie Energie? Und woher wissen Sie, ohne sie anzufassen, daß sie nirgendwo eine Krebsgeschwulst hat? Wie sehen Sie durch den Körper hindurch?«
    »Mit den Händen«, antwortete er, als sei das selbstverständlich.
    »Ja, aber wie?«
    »Das ist mit Wärme«, erklärte er langsam.
    »Er meint, es sei wegen der Wärme«, beeilte sich Hila zu erläutern. »Interessant, ich habe das nie gefragt. Wie Dostojewski sagt, ausgerechnet die Realisten glauben, ohne zu zögern, wenn man ihnen ein Zeichen gibt.«
    Von draußen war das Zeitzeichen vor den Nachrichten zu hören, dann krachte es plötzlich, wie eine Explosion direkt unter dem Fenster. Jo’ela sprang mit einem Satz zum Fenster. In einiger Entfernung war grauer Rauch zu sehen.
    »Wieder mal was passiert«, murmelte Hila, und der Mann seufzte. Jo’ela setzte sich wieder auf den Holzstuhl und hörte dem Heiler zu, der sagte: »Das ist von dort, vom Dorf, oder von der Altstadt, jeden Tag. Man gewöhnt sich.« Er lächelte etwas verzerrt. »In Rußland wir haben nicht gewußt«, sagte er entschuldigend.
    »Es gibt keinen sicheren Ort«, bestätigte Hila freundlich, »auf der ganzen Welt gibt es Probleme.« Der Mann nickte.
    »Aber wie nach der Wärme?« fragte Jo’ela weiter.
    »Die Hände empfindlich, sie fühlen. Wo es nicht in Ordnung, ist Wärme anders.«
    »Wärmewellen«, korrigierte Hila, »er meint, daß seine Hände die Wärmewellen aufnehmen.«
    Wenn du schon hierhergekommen bist, sagte sich Jo’ela, wenn du schon so verrückt bist, warum brauchst du dann eine rationale Erklärung? Akzeptiere ihn, wie er ist, oder laß es bleiben.
    »Ich weiß, daß draußen viele warten«, sagte Jo’ela angesichts des wachen, abwartenden Blicks des Heilers.
    »Das macht nichts«, meinte er gelassen. »Bitte fragen, das macht nichts.«
    »Wie haben Sie das gelernt?« fragte sie schnell, mit einem Blick auf die Tür.
    »So geboren, von Geburt«, antwortete er einfach. »Und auch … wie sagt man … abgewickelt Talent.«
    »Entwickelt«, korrigierte ihn Hila. »Er hat das vervollkommnet, was ihm gegeben war, Jo’ela.«
    Der Mann nickte.
    »Glauben Sie, daß Sie wirklich heilen können, mit den Händen?«
    »Nicht alles«, sagte der Mann vorsichtig. »Im Körper, wenn es gibt vielleicht schon Krebs – nein. Aber Kräuter im Tee, Behandlung mit Händen – gut für … innen.«
    »Gut für die Seele, meint er«, erklärte Hila.
    »Ja, ja«, bestätigte er erfreut. »Gut für die Seele.«
    »Aha, die Seele«, sagte Jo’ela und rebellierte innerlich gegen seinen Blick, der ihr verzeihend vorkam, verständnisvoll, der Blick eines

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