So habe ich es mir nicht vorgestellt
mit den Fingern den Takt schlagen konnte, und dem erfreuten Lächeln, das jedesmal auf seinem Gesicht erschien, wenn er, in El amor brujo , das Klopfen des Bogens auf dem Holz hörte. In der Folgezeit sprach er viel über seine neuen Nachbarn, über den Lärm, den sie machten, über das Klopfen an der Wand. Und an seiner zögernden, nachdenklichen Art zu sprechen war sein innerer Konflikt zu spüren, der Konflikt zwischen den Gefühlen, die man seiner Meinung nach haben müßte, wenn es um die Schwierigkeiten von Einwanderern in einem fremden Land ging, und dem, was er tatsächlich empfand. Er erinnerte an Stefan Zweig, der sich im Exil umgebracht hatte, dessen alte Welt jedoch zerstört worden sei, was man, wie er einschränkend hinzufügte, von den Neueinwanderern nicht sagen könne. Seine Schuldgefühle waren ihm deutlich anzumerken, ihr Ursprung lag darin, daß er das, was er für richtig hielt, in seinem persönlichen Fall nicht anwenden konnte. Seine Abneigung war für jeden spürbar, vor allem als er beschrieb, wie er praktisch gezwungen war, zu ihnen zu gehen und sie zu bitten, mit dem Klopfen aufzuhören, und die Haltung der nicht mehr jungen Frau nachahmte, die schief, mit vorgewölbtem Bauch, ohne mit der Wimper zu zucken, geleugnet hatte, Verursacherin des Lärms zwischen zwei und vier Uhr nachmittags und um drei Uhr nachts gewesen zu sein. Auf der Treppe – die ihr Vater monatelang nur langsam und unter Qualen hinaufgestiegen war und die, seiner Behauptung nach, mit schuld war an seinen Schmerzen im Knie, Schmerzen wiederum, die der Hauptgrund dafür waren, wie er sagte, daß sein Umzug ins Altersheim unumgänglich war, denn in seinem Alter sei es völlig sinnlos, in eine andere Wohnung umzuziehen, wie sie ihm einmal vorgeschlagen hatte – hatte Hila in den letzten Wochen die Frau manchmal getroffen, wie sie langsam, hochschwanger, auf dünnen, hohen Absätzen, hinaufgestiegen war, volle Einkaufstaschen neben der Tür abgestellt hatte, schwer atmend und stöhnend. »Kommen Sie, ich helfe Ihnen«, hatte Hila beim ersten Mal gerufen und ihr eine Tasche abnehmen wollen, aber die Frau hatte panisch »Nein, nein, nein« geschrien, sich dann gefaßt und »Danke, nein« gesagt.
Das erste Mal hatte Hila den Mann in der Nacht gesehen, als das Kind auf die Welt kam. An jenem Abend, als ihr Vater davon sprach, wie notwendig es langsam für ihn werde, ins Altersheim umzuziehen, und sie selbst überlegte, wie sie ihm beibringen könnte, daß sie vorübergehend in seine Wohnung ziehen wollte – sie schämte sich, weil ihr erster Gedanke war, daß sie so, ohne Miete bezahlen zu müssen, allein in einer Wohnung leben könne, noch dazu in dieser Wohnung. Er kämpfte mit sich, vor allem, weil er sich immer geweigert hatte, irgend etwas zu unternehmen, um die Wartezeit zu verkürzen, und sie, obwohl sie sich vorgenommen hatte, einen passenden Moment abzuwarten, sprach ihre Idee aus, gerade als er ihr bitter erzählt hatte, wie er, weil er keinen Ausweg sah, einen weißen Umschlag auf den Tisch des Leiters des Altersheims gelegt habe: eine Spende, um die Sache voranzutreiben. »Von wegen Spende«, murmelte er, »es war simple Bestechung.« Er schlug mit der Hand auf die Sessellehne. »Wer hätte gedacht, daß ich je an einer Bestechung beteiligt sein könnte, daß ich meine Hand für etwas hergebe, was ich mein ganzes Leben …« In diesem Moment wurde an die Tür geklopft, erst leise, dann lauter, und noch bevor sie zur Tür kam, klingelte es auch schon. Vor ihr stand ein magerer, bärtiger Mann, rang die Hände und entschuldigte sich. Damals besuchte Hila ihren Vater fast täglich, unter anderem, um ihr schlechtes Gewissen zu beruhigen, aber auch weil sie sich die Krise vorstellen konnte, in der er sich befinden mußte, obwohl ihm äußerlich nichts anzumerken war, abgesehen von dem Herumspielen mit seinem Gebiß, einer Angewohnheit, die von Mal zu Mal schlimmer wurde und die sie für ein Zeichen seiner Einsamkeit hielt, vor allem seit dem Tod Gitas, die vor fast einem Jahr plötzlich gestorben war, obwohl sie doch sieben Jahre jünger gewesen war als er. Hila kam gar nicht auf die Idee, daß er diese Einsamkeit nicht empfand. Manchmal erlaubte sie sich, die Ungeduld in seiner Stimme wahrzunehmen, wenn er sie fragte, ob sie jetzt nicht nach Hause zurückgehen müsse, und dann fürchtete sie, er wolle nichts lieber, als von ihr in Ruhe gelassen zu werden, er habe genug von ihrem Gerede und noch mehr von ihrer
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