So habe ich es mir nicht vorgestellt
Weinbrand unter den Arm geklemmt, den er für seinen abendlichen Schlummertrunk reserviert hatte. Er hielt dem Nachbarn ein Glas hin, das andere war für ihn selbst, dann erst blickte er Hila an, verwirrt, reichte ihr das Glas, das er in der Hand hielt, ging laut schlurfend wieder in die Küche und kam mit einem dritten zurück, goß ein, sagte Prost, und sie tranken. Sie genierte sich, als ihr Vater sich nicht beherrschen konnte und von der Qualität und der Exklusivität dieses Tropfens anfing, es war fast, als nenne er den Preis, um den Überfluß zu betonen, in dem er lebte. »Ein Armagnac«, verkündete er dem Nachbarn, in einem Ton, als wären sie alte Partner bei Weinproben, und der Russe nickte und beantwortete in seinem reinen Hebräisch, wie aus den Schriften Bialiks, alle Fragen, die ihm gestellt wurden. An diesem Abend sah es aus, als komme alles in Ordnung, als entstünde eine Beziehung zwischen ihnen, und an dem Tag, als die Frau nach Hause kam, bat Hila an der offenen Wohnungstür, ob sie sich das Baby anschauen dürfe, das auf dem Arm der Mutter sehr süß aussah. Hila erwartete nicht, in die Wohnung gebeten zu werden, sie betrachtete nur mitleidig die kleine, so hilflos wirkende Frau, sagte eifrig: »Jede Hilfe, wirklich jede«, und betonte: »Zögern Sie nicht.« Doch die Frau nickte nur kühl und sagte: »Vielen Dank, vorläufig brauchen wir nichts«, in einem Ton, als wolle sie in Ruhe gelassen werden. Hila gab nach.
Das Baby hörte nicht auf zu weinen, einen ganzen Monat lang hörte man die Kleine Tag und Nacht schreien, und nun saßen sie also da, im Wartezimmer des Heilers, die Kleine auf dem Arm der Mutter, die sie langsam hin- und herwiegte, in einem irgendwie falschen Rhythmus, der Vater zupfte an seinem dünnen Bart, mit vorgeschobenen Schultern. Beide wandten mit einem Ausdruck der Überwindung die Köpfe zu der Russin mit der gepunkteten Fliege und dem weißen Strohhut, die so laut sprach, daß ihre Stimme das Weinen des Babys übertönte.
»Waren das deine Nachbarn von gegenüber?« fragte Jo’ela, als sie draußen waren.
Hila nickte. »Das Baby ist die ganze Zeit so.«
»Das hast du mir schon erzählt«, erinnerte sie Jo’ela. »Du hast sogar gesagt, du seist gespannt, ob er die Kleine zum Schweigen bringt, und nun sind sie da, auch du hast Kräfte, du hast es vorausgesehen.«
Im Treppenhaus fragte Hila aufgeregt: »Nun, was sagst du, ist er nicht beeindruckend?«
»Er hat etwas Beeindruckendes«, antwortete Jo’ela zögernd, »aber man muß die Spreu vom Weizen trennen. Es braucht sehr viel Anmaßung, um alles mit Tee zu behandeln.«
»Aber es ist nicht immer derselbe Tee«, erinnerte sie Hila.
»Vermutlich kann er wirklich mit den Händen Wärmestrahlen aufnehmen, wenn etwas nicht in Ordnung ist, aber es fragt sich, ob er sie interpretieren kann, und falls er es kann, wie.«
»Was meinst du also?« fragte Hila, die sich schon fast geschlagen gab.
Jo’ela zögerte. »Es ist nicht so, daß ich ihm überhaupt nicht glaube, ich bin hin und her gerissen.« Sie lächelte.
Hilas Gesicht wurde rot. Wie ein Mädchen sah sie jetzt aus. Und um sie zu besänftigen, um ihr etwas zu geben, fügte Jo’ela hinzu: »Ich weiß es nicht.« Und unwillig, aus der Angst heraus, Hilas Aberglauben zu stärken: »Vor einem Monat habe ich mich untersuchen lassen, ich habe eine kleine Zyste am linken Eierstock.«
»Wirklich?« rief Hila erstaunt. »Du hast nichts davon gesagt, ich habe es nicht gewußt.«
»Das ist auch nicht wichtig, es hat keine Bedeutung.«
»Heißt das, daß du an ihn glaubst?« fragte Hila und fügte ängstlich hinzu: »Heißt das, daß er wirklich Fähigkeiten hat?« Und dann, in einem Ton, als habe sie ihn bisher nicht ganz ernst genommen: »Soll ich mich von ihm behandeln lassen?«
»Das hängt davon ab, um was es geht«, schränkte Jo’ela ein. »Er kann vermutlich wirklich Wellen aufnehmen, ähnlich wie elektrische Ströme, auch wenn ich nicht verstehe, wie er das macht, ohne den Körper zu berühren – dieses ganze Gerede über Astrologie ist allerdings nicht ernst zu nehmen –, aber es geht mir einfach nicht in den Kopf, wie er es wagen kann, diese Ströme zu erklären. Gut, wir wissen, daß es elektrische Strömungen im Körper gibt, aber wie kann er sagen, was sie bedeuten, diese elektrischen Ströme oder Wärmestrahlen, die er merkt? Und dann noch das Heilen mit Tee.«
»Brauchst du denn unbedingt eine Erklärung?« fragte Hila. »Geht es nicht auch so,
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