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So habe ich es mir nicht vorgestellt

So habe ich es mir nicht vorgestellt

Titel: So habe ich es mir nicht vorgestellt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Batya Gur
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mit großer Sicherheit, aber als sie an der Kreuzung waren, im Moment vor dem Abbiegen, rief sie: »Nein, eigentlich links, jetzt fällt es mir ein, links.« Jo’ela drehte schnell das Lenkrad um. Hinter ihnen hupte der verärgerte Fahrer eines Lieferwagens.
    Nach der Kurve hielt Jo’ela am Straßenrand und wartete, während Hila in ihrer großen Tasche nach der Wegbeschreibung suchte. Endlich zog sie einen zusammengefalteten Zettel hervor, breitete ihn auf ihren Knien aus, betrachtete ihn von vorn, von hinten und murmelte schließlich: »Gut, versuchen wir es, wenn wir’s nicht finden, müssen wir eben fragen. Fahr geradeaus weiter.«
    Jo’ela gehorchte.
    »Bleib einen Moment stehen«, befahl Hila neben einem Lebensmittelgeschäft, das sich hinter den Säulen eines mehrstöckigen Hauses verbarg. Als sie zurückkam, hatte sie neben einem weiteren Zettel ein Päckchen Mentholzigaretten in der Hand, in der anderen eine Tüte, in der zwei Saftflaschen klirrten. Eine von ihnen legte sie auf den Boden zu ihren Füßen, schraubte den Deckel der zweiten ab, trank sie halb leer und hielt sie dann Jo’ela hin. »Jetzt weiß ich es genau«, erklärte sie fröhlich, während Jo’ela den Kopf zurücklegte und in einem Zug den Rest des Grapefruitsafts austrank. »Es ist ganz nah. An der übernächsten Kreuzung nach rechts, der erste Block.«
    Der erste Block an der übernächsten Kreuzung rechts hatte sechs Eingänge, ebenso der Block gegenüber, auf der anderen Straßenseite, der, wie Jo’ela betonte, ebenfalls der erste Block sein konnte. Hila stieg aus. Jo’ela ließ den Motor laufen, während ihr Blick Hila folgte, die mit schnellen Schritten von einem Eingang zum nächsten lief. Sie atmete tief die staubige Luft ein und betrachtete die Wäscheleinen und das Bettzeug, das über den Fensterbänken hing, die gelbgestrichenen Balkons mit den lilafarbenen Eisengeländern. Jetzt trat Hila aus dem fünften Eingang und winkte triumphierend.
    Ein breites Lächeln lag auf ihrem Gesicht, während sie wartete, daß Jo’ela den Motor abstellte und ausstieg. Drei Kinder standen neben ihr und betrachteten sie mit unverhohlener Neugier. »Warum seid ihr nicht in der Schule?« erkundigte sie sich, und ohne ihre Antwort abzuwarten, sagte sie zu Jo’ela: »Im dritten Stock rechts. Der Name ist nicht gut zu lesen, aber das muß es sein.«
    »Sucht ihr die Hexe?« fragte ein etwa sechs, siebenjähriger Junge in kurzen Hosen und Gummistiefeln.
    »Die Hexe?« fragte Hila amüsiert. »Warum ist sie eine Hexe?«
    »Sie ist eine«, entschied der Junge. Ein Mädchen, größer als er, in einem sehr kurzen rosafarbenen Kleid, die einen vielleicht dreijährigen Knirps an der Hand hielt, machte ihn nach: »Eine Hexe, eine Hexe!« Der Knirps fing an zu weinen, und das Mädchen zuckte mit den Schultern. »Sie ruft Teufel«, versicherte der große Junge und lief zu dem Auto hinüber, das neben dem ersten Eingang geparkt war.
    »Wieso seid ihr auf der Straße? Es ist erst elf Uhr, und schon keine Schule mehr?« fragte Hila.
    »Wir sind heute nicht gegangen«, bemerkte der Junge und verkündete laut: »Sie – sie hat keine Kinder. Und den ganzen Tag zaubert sie.«
    »Komm schon«, sagte das Mädchen und griff nach dem Saum ihres kurzen Kleidchens. Ihre nackten Füße trampelten über das Gras, das wild neben dem Eingang wuchs.
    »Wohnt ihr hier?« fragte Hila. »In diesem Eingang?«
    »Ich wohne dort«, sagte der Sechsjährige und deutete auf ein weit entferntes Haus. »Und sie wohnt dort. Und hier«, er deutete auf die Haustür vor ihm und flüsterte, »da wohnen Verrückte, nur Verrückte und die Hexe.« Alle drei Kinder sahen den beiden Frauen nach, die nun das Haus betraten. Der Junge bückte sich und hob einen Stein auf, wischte ihn sauber und warf ihn dann mit einer weiten Bewegung hinüber auf die andere Straßenseite.
    Im ersten Stock ging eine Tür auf, und eine untersetzte Frau trat heraus. In der einen Hand hielt sie einen Besen, die andere stützte sie auf die Hüfte. Ihre neugierigen Augen folgten Jo’ela und Hila, die weiter die Treppe hinaufstiegen. Auf der weißen Wand, der man ansah, daß sie frisch gestrichen war, hatte jemand mit krummen roten Druckbuchstaben »Chana Spitzer ist die Tochter einer Hure« geschrieben, und im dritten Stock hingen dort, wo eigentlich eine Klingel sein sollte, zerrissene Kabel aus der Wand, darunter stand in verwischten großen Buchstaben der Name: Cohen.
    Hila klopfte leise an die Tür, dann noch

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