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So habe ich es mir nicht vorgestellt

So habe ich es mir nicht vorgestellt

Titel: So habe ich es mir nicht vorgestellt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Batya Gur
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abgenagten Fingernägeln schafft es nicht, die Zeichnung ganz zu bedecken. Die erstreckt sich über eine große Seite. Sie versucht, die Hand so ausgebreitet zu lassen, wie sie ist, und sie schnell auf ihren Bauch zu legen. Wie konnte Oberon Titania so beschämen? Sie versteht, daß er ihr eins auswischen will, daß sie es vielleicht sogar wirklich verdient hat – es ist schwer zu verstehen, weswegen sie gestritten haben, was für eine Bedeutung hat der kleine Junge, den Titania behalten will, und warum kümmert das Oberon? Und dann ist alles wieder, als wäre nichts geschehen. In ihrem luftigen weißen Kleid mit der Schleppe wird Titania geliebt wie vorher. Das Mädchen weiß schon längst, daß ihre Fragen die Augen der Eltern verdunkeln. Aus ungeahnten Tiefen steigt der verwirrte, erschrockene Blick auf, den sie damals hatten, als sie es nicht schaffte, etwas richtig von der Tafel abzuschreiben. Im besten Fall lachen sie, oder sie ignorieren sie einfach. Sie prüft jeden Tag nach, ob sie oben dicker geworden ist, fühlt aber keinen Unterschied. Sie muß gut essen. Und viel schwimmen. Sie ißt Suppe und Eier und sogar Fleisch, auch viele Scheiben Brot mit Quark und Gurkenscheiben, sie gibt sich Mühe, schnell zu wachsen, damit ihr auch etwas wächst. Aber es geht einfach nicht voran. Es tut ihr allerdings weh, wenn sie die Brust berührt, zu sehen ist jedoch nichts, und sie weiß nicht, ob das Wehtun ein Zeichen dafür ist, daß sich bei ihr etwas tut. Einmal, auf dem Heimweg, hat sie versucht, mit Lidia Zofi darüber zu sprechen. Lidia Zofi ist zwar selbst klein und flach, aber wegen ihrer Kusine Carmela Zofi versteht sie was von solchen Dingen. Beim Klassenausflug hat sie ihnen von der Tante mit den roten Wangen erzählt. Carmela selbst kann man nicht fragen, die würde nur rot werden und nichts sagen. Gerade weil sie für ihr Alter gut entwickelt ist. Gut entwickelt heißt, daß es unter Carmelas dicken Blusen, die ihren Körper verbergen, schon etwas gibt. Als das Mädchen versucht hat, Lidia Zofi etwas über das nächtliche Wehtun zu erzählen, und sogar schon die Worte »Nachts tut es mir manchmal weh« ausgesprochen hatte, erinnerte sie Lidia daran, daß sie rennen müßten, um rechtzeitig zum Fußballplatz zu kommen, wo heute ein besonderes Spiel stattfindet.
     
    Ihr Vater steht hinter ihrer Mutter, die sich über das Spülbecken beugt. Sie schneidet eine Zwiebel in kleine Stücke und wischt sich mit dem Arm über die tränenden Augen. Das Mädchen spürt, wie ihre Augen ebenfalls feucht werden beim Gedanken an die scharfe Zwiebel. Jahre später wird sie erst hören, die Menschen seien wie Zwiebeln, man entfernt eine Schale nach der anderen, und am Schluß bleiben Tränen. Der Vater steht ganz dicht hinter der Mutter und küßt ihren Nacken. Die Mutter stößt ihn weg, aber er ist nicht beleidigt. Sie spielen. Das ist eine Art Spiel. Das Mädchen selbst sitzt am Küchentisch und baumelt mit den Beinen. Obwohl sie mit dem Rücken zu ihnen sitzt, sieht sie alles. Ohne hinzuschauen, sieht sie es. Drei Knöpfe auf dem Rücken des grünen verblaßten Sommerkleids sind nicht zugeknöpft. Es ist schwer zu verstehen, wie sie es sieht: die Hand, die die Zwiebel zerschneidet, das Gesicht ihres Vaters, über den Nacken gebeugt, die Haltung ihrer Mutter, als sei sie bereit zum Zutreten. Nicht, daß sie wirklich zutritt, nein, das tut sie nicht. Das Mädchen sitzt am Tisch und wischt eifrig die weißen Flecken von der gelben Resopalplatte, aber sie gehen nicht ab, sie gehören zur Farbe. Ihre dünnen Beine bleiben am Plastiksitz des Stuhls kleben. Er schmeichelt ihr, das weiß das Mädchen. Die Mutter tut, als stoße sie ihn weg, aber alle wissen, die ganze Welt weiß, daß sie es nicht wirklich tut. Der Wasserhahn, der abwechselnd auf- und zugedreht und wieder aufgedreht wird, weiß es, die Schüssel weiß es, der Kühlschrank, der anfängt zu summen, und der Geruch der Zwiebel, die in der Pfanne angebraten wird, vermischt sich mit dem Geruch der Liebe. Vor ihren Augen spielt sich ein Verwirrspiel ab, das sie nie im Leben verstehen wird. Sie verhalten sich, als wäre das Mädchen nicht da. Die Frage ist, ob sie eines Tages auch so etwas tun wird. Und wie passiert es, daß zwei Leute einander lieben? Wie geht so was? Und wenn sie einmal jemanden liebt, wird er sie dann zufällig auch lieben? Wie wird es sein, wenn sie einen wegstößt, der kommt und ihren Nacken küssen will?
    Der Schauspiellehrer hat sehr dünne

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