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So habe ich es mir nicht vorgestellt

So habe ich es mir nicht vorgestellt

Titel: So habe ich es mir nicht vorgestellt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Batya Gur
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schtil, der kind, si is du , sagte die Mutter warnend zu Tante Sarah, die die Beine von sich gestreckt hatte, und ihre Augen lachten auch noch, als sie plötzlich still wurde, mühsam ein ernstes Gesicht machte und sagte: Barfuß? Du schläfst noch nicht? Um diese Zeit schlafen schon alle Kinder auf der ganzen Welt, alle. Das Mädchen bat um ein Glas Wasser und wartete, daß sie weitersprachen, aber sie schwiegen. Tante Sarah nahm ihre Füße von dem Stuhl, auf dem sie gelegen hatten, stand auf, legte den Arm um die Schultern des Mädchens, brachte sie zurück ins Bett und stopfte die Daunendecke fest um ihre Beine. Die ganze Zeit lächelte sie, auch als sie mit dem Finger Kringel auf die Wange des Mädchens malte und dann das Licht ausmachte.
    An diesem Tag also, bei Tante Sarah, ruht sie sich auf der Terrasse von dem langen Weg aus, den sie gelaufen ist, um das grüne Kleid zu bringen, zum Reparieren, weil Tante Sarah das gut kann. Das Mädchen streckt die Beine aus und legt sie auf den Tisch, denn den ganzen Tag über tun ihr schon die Gliedmaßen und der Bauch weh. Ein neuer Schmerz, den sie nicht kennt. Anders als das Bauchweh, wenn man zuviel Süßigkeiten gegessen oder nach Wassermelonen Wasser getrunken hat, auch nicht wie das Seitenstechen, wenn man zu lange gerannt ist, ein anderer Schmerz. Ein Gefühl, als pochten zwei Adern auf beiden Seiten unten im Bauch. Vor ihr steht Tante Sarah und lächelt warm und freundlich. Das Mädchen zieht schnell den blauen Rock tiefer, um die Knie zu verdecken. Aber es ist zu spät. Wieder wissen andere etwas vor ihr, etwas, was sie selbst noch nicht gemerkt hat. Erst elfeinhalb, und schon? fragt Tante Sarah lächelnd.
    Schon? Was?
    Weißt du nicht, daß du es bekommen hast? fragt die Tante erstaunt.
    Das Mädchen hört den verschwörerischen Ton und versteht ihn nicht. In der Toilette sieht sie es dann. Rotes, frisches Blut. Ein bräunlicher Fleck, hell, aber nicht klein. Es gibt keinen Zweifel.
    Sie rennt den ganzen Weg nach Hause und steht an der Tür, bis sie wieder atmen kann. Mit undurchdringlichem Gesicht, gelassen, um ihre Aufregung nicht zu zeigen, die sich, vor der Mutter, sofort in Scham verwandeln würde, sagt sie: Ich hab’s gekriegt.
    Zeig, sagt die Mutter mit einem zweifelnden Blick.
    Sie erschrickt, hat einen Moment Angst, es könnte sich gleich herausstellen, daß es nicht stimmt, daß sie es sich nur einbildet. Der blaue Blick heftet sich auf die weiße Baumwollunterhose, öffnet sich weit vor Stolz.
    Herzlichen Glückwunsch, verkündet die Mutter mit einer feierlichen, zitternden Stimme. Du bist eine Frau geworden.

16. Wenn man ihre Stimme hört
     
    Der Sandsturm, der begonnen hatte, noch während sie in der Wohnung waren, nahm an Kraft zu. Hila hielt mit beiden Händen ihr Kleid fest, das vom Wind hochgeblasen wurde, und die Kinder, die sich neben dem Auto zu einer großen Horde versammelt hatten, lachten laut. Der Junge, der vorher den Stein zur anderen Straßenseite geschleudert hatte, malte Clownsgesichter in die Staubschicht auf der Kühlerhaube; als sie näher kamen, hörte er damit auf. Der kurze Weg von der Tür zum Auto hatte gereicht, ihnen Sand in die Augen zu treiben. Jo’ela blinzelte hinter den dunklen Gläsern ihrer Sonnenbrille. Hila hob eine Hand an die Stirn und kniff die Augen zusammen. Sie stiegen ein. Mit geschlossenen Fenstern, gegen den Sand, der vor ihnen aufstieg, bewegte sich das Auto langsam auf die Hauptstraße zu.
    Schmutziger, gelblichgrauer Nebel hätte besser ge-paßt als diese Sandsäulen, die sich mitten auf der Straße ganz unerwartet erhoben. Als wolle der Sand eine letzte Hürde errichten, sie zurückhalten. »Sollten wir nicht unterwegs anhalten und was essen?« fragte Hila.
    »Ich habe keinen Hunger«, antwortete Jo’ela, ihre Kehle war trocken.
    »Nun, du hast nie Hunger, wenn du angespannt bist«, meinte Hila. »Aber du hast noch einen anstrengenden Tag vor dir, und ich sterbe vor Hunger. Hier, da ist ein Einkaufszentrum.«
    Jo’ela hielt auf einem Platz, von Geschäften umgeben, deren Türen wegen des Sandsturms geschlossen waren. »Hier gibt es was.«
    Das Einkaufszentrum war leer. Hila öffnete die Tür eines Restaurants neben einem Kurzwarengeschäft, in dessen Schaufenster sich ein buntes Trikothemd über einem rosafarbenen Torso spannte. Ein dicker Mann mit einer Schürze um den Bauch empfing sie. »Kann man hier was essen?« erkundigte sich Hila und ließ den Blick über die Tische mit den roten

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