So habe ich es mir nicht vorgestellt
Tischdecken gleiten. Gäste waren keine zu sehen.
»Man kann, natürlich kann man das«, sagte der Mann erschrocken. Mit einem einfältigen Lächeln führte er sie, nach einem prüfenden Blick auf die leeren Tische, zu einem Tisch in der Ecke, für zwei Personen, als habe er ihn eigens ihren Bedürfnissen entsprechend ausgewählt.
»Wer ist dieser Mann?« fragte Jo’ela und deutete auf das Bild eines alten Mannes in einem weißen Gewand, das über der dunklen Holztheke hing.
»Ehre seinem Angedenken, er war ein großer Heiliger.«
»Glauben hier alle an ihn?«
Der Mann lachte. »Nein, nicht alle, aber die meisten. Ich wegen meines Vaters seligen Angedenkens, er hat ihm sehr nahegestanden.« Er deutete auf ein Foto links von der Theke, auf dem ein Mann mittleren Alters zu sehen war, dessen Arm auf einem Podest ruhte. Er trug einen dunklen Anzug mit einer grauen Krawatte, und über seinem dicken Bauch hing eine goldene Uhr. Auf seinem vollen Gesicht lag ein zufriedenes, selbstbewußtes Lächeln, sein Kopf war von einer großen roten, goldbestickten Kipa bedeckt. »Mein Vater«, sagte der Restaurantbesitzer. »Er ist vor zwei Jahren gestorben, Sie können fragen, wen Sie wollen, alle haben ihn gekannt, er hatte ein goldenes Herz, und wem hat er nicht geholfen?«
Hila räusperte sich mehrmals, um zu zeigen, daß es an der Zeit wäre, die Sache mit dem Essen zu besprechen. »Was kann ich Ihnen bringen?« fragte der Mann und wischte sich mit den Händen über die Schürze. »Heute gibt’s Suppe und verschiedene gefüllte Gemüse.«
»Wunderbar, bringen Sie mir das«, rief Hila und warf Jo’ela, die nur etwas zu trinken bestellte, einen sorgenvollen Blick zu.
»Und gar nichts zu essen?« fragte der Mann gekränkt.
»Haben Sie Salat?« wollte Jo’ela wissen.
»Natürlich gibt es Salat, eine große Auswahl, er kommt gleich.«
»Bringen Sie Salate, dann sehen wir weiter«, meinte Hila beruhigend.
»Wer hat Sie zu mir geschickt? Vielleicht Mosche Maimon?«
»Ich kenne keinen Mosche Maimon, wer ist das?« erkundigte sich Hila.
»Ach, ich habe nur gedacht. Man kommt aus dem ganzen Land zu mir, wirklich, aber ich habe gedacht, weil Sie nicht von hier sind …«
Der Mann hörte auf. Er nahm ein Holztablett von der Theke und verschwand hinter einem Vorhang aus hölzernen Perlen, der zwischen dem Speiseraum und der Küche hing. Von dort war nun das Klappern von Tellern und Töpfen zu hören. Ein Vorhang aus Holzperlen hing auch vor der Glastür, die ins Freie führte. Im Raum war es angenehm dämmrig, es roch nach Essen, und beinahe hatten sie schon den Staub und den Sand vergessen.
»Hat Sie der Sandsturm erwischt?« murmelte der Mann, stellte Wasser vor sie auf den Tisch und verteilte kleine Teller mit allen möglichen Salaten und Eingelegtem, dazu einen großen Teller mit dicken Scheiben von dunklem Brot und eine Schüssel mit dampfender Suppe.
»Nun, ein französisches Restaurant ist das nicht«, murmelte Hila, den Mund voll Brot. »Gott sei Dank.« Sie häufte einen Löffel Salat, scharf angemachte gekochte Karotten, auf das Brot. »Genau so etwas habe ich mir vorgestellt.«
Jo’ela zerbröckelte ein Stück von dem dunklen Brot über ihrem Teller und nahm sich ein wenig von dem Auberginensalat. Der Anblick Hilas, die gierig aß, weckte in ihr zugleich Hunger und Ekel. Es wäre besser, etwas zu essen, aber aus irgendeinem Grund trank sie nur einen Schluck Wasser und steckte sich widerwillig kleine Brotkügelchen in den Mund, die sie zwischen ihren Fingern geknetet hatte.
»Ach, wie schön«, sagte Hila, »das Leben ist wunderbar.« Sie biß in das Brot mit Salat. »Wer hätte geglaubt, daß wir hier so ein schönes Lokal finden!«
Jo’ela trank noch einen Schluck Wasser.
»Jo’ela«, sagte Hila bittend, »willst du nicht doch etwas essen?«
»Ich will nicht«, sagte Jo’ela.
»Warum gönnst du dir denn nicht auch mal was!« brach es aus Hila heraus.
Jo’ela blickte sie mit Tränen in den Augen an. »Ich kann es nicht, ich wollte, ich könnte es.«
»Ich meine nicht nur dieses Essen, warum kannst du dich nicht auch mal freuen? Früher hast du es gekonnt.«
»Wirklich? Konnte ich das?« fragte Jo’ela zweifelnd.
»Jedenfalls eher als heute«, meinte Hila und wischte energisch die Reste der Sesamsoße aus einer Schüssel. »Was sagst du?«
»Was soll ich wozu sagen?« sagte Jo’ela mürrisch. Sie hatte das Gefühl, Hila von Jo’el erzählen zu müssen, schaffte es aber nicht.
Hila lachte
Weitere Kostenlose Bücher