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So habe ich es mir nicht vorgestellt

So habe ich es mir nicht vorgestellt

Titel: So habe ich es mir nicht vorgestellt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Batya Gur
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Purim dauern die Proben. Der Schauspiellehrer ist ein dünner, häßlicher Mann. Seine Brillengläser sind noch dicker als ihre. Aus den Kreisen in den dicken Gläsern betrachten kleine Augen, glänzend wie zwei Insekten, verächtlich ihre lästige Begeisterung. Das ist schwer zu beweisen, es gibt keine greifbaren Anzeichen, und darüber sprechen geht nicht. Er hat dünne Lippen, zwischen denen ein kehliges r kommt, wenn er das Stück vorliest. Wenn er normal spricht, ist auch sein r normal. In der Schauspielgruppe lernt man wichtige Dinge wie Aussprache und Bewegung. Über das Stück spricht er kein Wort, er erklärt ihr nichts von Titania und dem Esel, von der Strafe, die Oberon seiner Gemahlin auferlegt. Und was wäre, wenn sich am Schluß nicht alles wieder eingerenkt hätte? überlegt sie. Wie kann man sich so in Gefahr bringen wie Oberon? Das hätte sie gerne gewußt.
    Sie lesen den Text von Matrizenabzügen, das sind grau bedruckte Blätter, die er an alle verteilt hat. Das Mädchen murmelt sämtliche Rollen vor sich hin. Erst hat sie wirklich eine der Elfen spielen sollen, aber der Junge, der den Puck spielen soll, ist auf einmal nicht mehr gekommen, und sie hat die ganze Rolle auswendig gewußt. Wenn sie groß wäre und wenn der Schauspiellehrer das wollte, könnte sie auch die Titania spielen oder wenigstens die Helena, aber sie ist noch klein. Deshalb ist es auch nur zufällig passiert. Ganz zufällig hat sie die Rolle des Puck bekommen. Es lohnt sich einstweilen nicht, mehr zu erwarten oder an etwas anderes zu denken.
    Er hat keine Wahl, nur weil sie den Text auswendig weiß, muß er ihr die Rolle geben. Es gibt viele Leute auf der Welt, die sich von ihrem großen Wissensdurst abgestoßen fühlen. Als sie zum ersten Mal die Abschlußrede des Puck deklamiert, schlagen ihr förmlich seine Mißbilligung und sein Abscheu entgegen, wie der bittere Geruch von Desinfektionsmittel. Sehr schnell wird sie von dem Bitteren angesteckt und bald ganz davon ausgefüllt. Auch wenn sie sich bei jeder Probe sagt, daß sie das einzige Mädchen aus den unteren Klassen ist, das mitspielen darf, und daß alle anderen größer sind, erleichtert sie das nicht. Wenn sie die Rolle einer Elfe spielen würde, könnte sie die Haare offen tragen und ein langes Tüllkleid anziehen, aber das wäre keine Sprechrolle, und sie versteht natürlich sehr genau, daß es besser ist, Puck zu sein als eine schöne, schweigende Elfe. Es ist nicht schlimm, daß sie nicht die Titania ist. Als Titania müßte sie den Esel auf den Kopf küssen. Bei dieser Szene lachen immer alle. Sie auch. Aber sie lacht nur, um ihre Angst zu verstecken. Schlimm, was sie mit der Königin machen. Die Rolle hat Chawa bekommen, aus der achten Klasse, die wirklich wie eine Königin aussieht. Man sieht die Träger unter ihrem Unterhemd. Was dem Mädchen angst macht, ist die Vorstellung, daß nicht alles in Ordnung kommen könnte, diese Welt, in der jeder nicht den liebt, von dem er selbst geliebt wird, sondern jemand anderen. Ob sie wohl, wenn sie groß ist und selbst solche Träger unter dem Unterhemd hat, den richtigen Mann findet? Man braucht sich ja nur Titania und den Esel anzuschauen. Lysander und Demetrius lieben Hermia. Hermia liebt zwar Lysander, was bedeutet, daß in einem Fall alles in Ordnung kommen kann, aber was ist mit Helena und Demetrius? Gut, am Schluß klappt ja alles. Und der Esel? Jedem kann ein Esel passieren, auch Titania. Die anderen Kinder lachen, nur sie bedrückt das Unverständliche, was da geschieht, vor allem in der Szene mit dem Esel, auch wenn es nur ein Sommernachtstraum ist und am Schluß alles gut ausgeht. Natürlich darf sie niemandem zeigen, wie verwirrt sie ist. Wenn sie es ihrer Mutter sagt, wird sich der blaue Blick für einen Moment besorgt auf sie heften, dann wird er sich klären, und die mütterliche Hand wird eine wegwerfende Bewegung machen, verächtlich, und ihr Lachen hätte nichts Überzeugendes. Nein, sie wird niemandem etwas sagen. Sie weiß schon, daß die weißrosa Bilder im Buch, die zeigen, wie ein Kind auf die Welt kommt, zusammengekrümmt in einem Sack im Bauch der Mutter, nicht wirklich echt sind. Es fehlen Farben, zum Beispiel Schwarz und Grau – und Blut, da muß auch Blut sein. Aber ein Teil von ihr ist nicht sicher, vielleicht sind Babys bei anderen wirklich rosa und weiß. Vielleicht ist bei ihnen alles so sauber wie die Seidendecke des Kindes, das geboren worden ist. Bei ihr nicht. Ihre Hand mit den

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