So habe ich es mir nicht vorgestellt
im Flur gelassen habe, an den Herztonwehenschreiber«, bat Jo’ela in einem schmeichelnden, intimen Ton, der Mirjams deutlich zu erkennenden Unwillen besänftigen sollte. Sie hatte etwas gegen private Entbindungen.
»Was für eine junge Frau? Die Kahlgeschorene?«
»Ich habe es ihr versprochen …«
»Wir haben sie schon zweimal weggeschickt, aber sie läßt sich nicht abhalten. Die hat’s im Kopf.«
Jo’ela lachte. »Im Bauch. Sie hat’s im Bauch. Sie ist allein und hat Angst. Was können wir schon verlieren, wenn wir …«
Mirjam schluckte den letzten Bissen Schwarzbrot und trank geräuschvoll einen Schluck Kaffee. »Na gut, ich schau mal.«
»Wo ist Alisa Mu’alem?«
»Was für eine Frage, Jo’ela. Im großen Raum, wo denn sonst?« Mirjam verzog den Mund mit den vollen Lippen und wischte ein paar Brotkrumen vom Tisch.
»Habt ihr ihr kein Wehenmittel gegeben?«
»Sie ist deine Patientin, das mußt du entscheiden«, sagte Mirjam und kratzte mit der Messerspitze einen eingetrockneten Fleck von der Falte ihres grünen Kittels, zwischen Busen und Bauch. »Wir … So eine Nacht hat es schon lange nicht mehr gegeben. Wir haben sie an eine Infusion angeschlossen, aber nicht aufgedreht. Wir haben auf dich gewartet.«
»Nur kein Dolantin«, flüsterte Frau Mu’alem. Durch das Fenster links von ihr blitzten Lichter, aber die goldene Kuppel war nachts nicht zu erkennen. Nur wenn sie bis zum Morgen in diesem Raum blieb, würde sie die Aussicht sehen, deretwegen dieser Kreißsaal so beliebt war. Auf dem Stuhl neben dem Bett saß ihr Mann, mit dem Rücken zum Fenster, und ließ den Blick nicht vom Monitor des Kardiotokographen, der die Kurve zeichnete. Die Stimme Frau Mu’alems übertönte den Pulsschlag, die galoppierenden Pferdehufe aus dem Gerät. »Auf keinen Fall Dolantin!«
»Was wissen Sie über Dolantin?« erkundigte sich Jo’ela, legte die Hand auf den Bauch und zog mit aller Kraft an dem Handschuh.
»Auf gar keinen Fall«, flüsterte Frau Mu’alem.
»Wir werden sehen. Legen Sie sich auf den Rücken und ziehen Sie die Knie an«, befahl Jo’ela der Frau, die auf der Seite lag, das Gesicht zur Tür. »Fünf Zentimeter«, berichtete sie dann. »Ein fast verstrichener Gebärmutterhals, es ist alles in Ordnung. Das Kind wird bald kommen.«
»Es tut so weh«, klagte Frau Mu’alem, die Jo’ela noch nicht Alisa nennen konnte, weil die Beziehung zwischen ihnen das noch nicht zuließ, aber später, nach dem ersten Schrei, würde sie sie beim Vornamen nennen. Frau Mu’alem krümmte sich, stöhnte und legte eine Hand auf den Bauch. Mit der zweiten Hand umklammerte sie den Metallgriff am Bett. Ihr Mann zupfte an seinem schmalen Schnurrbart und starrte auf den Monitor.
»Jetzt hat sie eine Wehe«, verkündete er erstaunt und fügte stolz hinzu: »Stärke achtzig.«
»Wenn Sie etwas gegen Schmerzen wollen«, sagte Jo’ela
und rückte den Gürtel auf dem gespannten Bauch zurecht, »kann ich Ihnen auch Bupivacain geben.«
Alisa Mu’alem atmete tief und warf einen Blick zu ihrem Mann, der den Kopf vom Monitor wandte. »Das kommt in die Wirbelsäule«, warnte er, runzelte die Stirn und zählte die Gefahren auf, die für seine Frau damit verbunden waren.
»Wir haben einen hervorragenden Narkosearzt«, versicherte Jo’ela.
Herr Mu’alem erhob sich und schob die Hände in die Hosentaschen. Er und Jo’ela standen nun zu beiden Seiten des Bettes, und Frau Mu’alem blickte abwechselnd von einem zum anderen. »Ich glaube, es gibt einstweilen noch keinen Grund dafür«, entschied er, nachdem er sich erkundigt hatte, welcher Narkosearzt Dienst habe und wer der beste sei. »Wen würden Sie empfehlen?« fragte er. »Bei einer speziellen Behandlung braucht man den besten.« Und mit gerecktem Kinn fügte er hinzu: »Es ist auch keine Frage des Geldes.«
Frau Mu’alem wischte sich die Stirn ab und wickelte sich eine Locke, die ihr Ohr bedeckte, um den Finger. Mühsam richtete sie sich auf, drehte sich auf die Seite, beugte sich zu dem Schränkchen hinter dem Bett und legte einen Morgenrock aus rosafarbenem Wollstoff zusammen, erst der Länge nach, dann auch nach der Breite. Dabei strich sie mit dem Finger über die goldene Blume, die auf den Kragen gestickt war. Dann legte sie sich wieder auf den Rücken, stöhnte und fragte, ob sie »einen Tropfen« Wasser haben könne. Herr Mu’alem tauchte den beschichteten Rand des Holzspatels in einen Pappbecher und befeuchtete ihr sorgfältig die Lippen, ohne daß
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