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So habe ich es mir nicht vorgestellt

So habe ich es mir nicht vorgestellt

Titel: So habe ich es mir nicht vorgestellt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Batya Gur
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getrennt, waren belegt. Im Bett am Fenster lag die mädchenhafte Schwangere mit dem runden Gesicht, halb ausgezogen, ihre weite Hose mit dem Blumenmuster hing unordentlich über einem Stuhl. Ihr Unterkörper war teilweise von einem Laken bedeckt. Das Gesicht Monikas, der Hebamme, die am Bett an der Tür stand, zeigte rote Flecken vor Anstrengung, als sie den Kopf hob. »Die Frau hier spricht kein Hebräisch«, verkündete sie, »aber ihr Mann, der draußen sitzt, spricht es sehr gut.«
    Im Fach unter dem Bett der Frau lag ein graues Kleid, daneben, auf einer schwarzen Handtasche, ein weißes Kopftuch. Die Frau hatte ihre dunklen Hände auf die Brust gelegt und lächelte Jo’ela, die nun zu ihr trat, schüchtern an. » Do you speak English? « fragte Jo’ela. Die Frau schüttelte den Kopf und murmelte ein paar Worte auf Arabisch.
    »Sag ihrem Mann, er soll ihr den Schmuck abnehmen«, sagte Jo’ela zu Monika, die schnell nach dem glatten Arm griff und der Frau mit Handbewegungen klarzumachen versuchte, daß es nötig sei, den Schmuck abzulegen, doch die Araberin umklammerte ihre goldenen Reifen und schüttelte ablehnend den Kopf.
    »Sie muß es nicht tun«, meinte Jo’ela, »aber sag ihr, daß es zu ihrem Besten ist.«
    »Sie ist zwanzig, noch nicht mal ein Jahr verheiratet und hat Angst«, erklärte Monika.
    Jo’ela blickte auf den Kardiotokographen und fragte nach dem diensthabenden Arzt.
    »Er ist im Operationssaal«, antwortete Monika. »Sie hat eine Steißlage.«
    »Vielleicht dreht er sich ja noch.«
    »Laut Ultraschall ist es ein Mädchen«, korrigierte sie Monika, und in diesem Moment hörte man laute Stimmen vor der Tür.
    »Sie haben mir gar nichts zu sagen!« schrie eine helle, weiblich klingende Stimme, die mitten im Satz um eine Oktave tiefer kippte. »Holt es mir doch raus! Ich kann nicht mehr!«
    Monika richtete sich auf. Zwischen ihren hellen Augen erschien eine nachdenkliche Falte. »Er ist schon wieder da«, meinte sie. »Zwei Wochen war jetzt Ruhe.«
    Die Araberin verkrampfte sich stöhnend.
    »Wirf ihn raus«, befahl Jo’ela. »Wir haben zuviel Arbeit, um uns um ihn zu kümmern. Sag dem diensthabenden Psychiater Bescheid, und damit basta.« Sie war auf dem Weg zum Bett am Fenster und hatte nicht vor, das Wehenzimmer zu verlassen. Doch die Frau im mittleren Bett, über die Monika ihr flüsternd mitgeteilt hatte: »Das klappt, die fünfte Geburt, alles hundert Prozent in Ordnung«, und die bisher still dagelegen hatte, mit einem gelassenen Gesicht unter einer weißen Haube, die Hände unterhalb der Brust ineinander verschlungen und bei jeder Wehe tief durchatmend, fuhr plötzlich hoch und rief voller Panik: »Was bedeutet das Geschrei?«
    »Alles in Ordnung«, winkte Monika ab. »Das hat nichts mit uns zu tun.«
    »Aber was ist das? Ist das nun ein Mann oder eine Frau? Was ist mit ihm?« beharrte die Frau. »Warum schreit er so?«
    Monika griff nach ihrem Handgelenk und blickte auf die Uhr, lächelte freundlich und tätschelte ihr ermutigend den Arm, gab aber keine Antwort. Hinter der geschlossenen Tür ging das Geschrei in voller Lautstärke weiter, abwechselnd in einem zwitschernden Sopran und einem tiefen Tenor.
    »Das ist nicht wie das Schreien bei einer Geburt«, rief die Frau mit der Haube, und ihre Unterlippe zitterte. »Man hört auch kein Baby weinen.«
    »Das wird man auch nicht«, sagte Jo’ela mit entschlossener Stimme und machte die Tür auf.
    Draußen vor der Tür warteten zwei weitere Frauen auf ihre Entbindung. Drei Araberinnen in langen, grauen Kleidern und mit weißen Kopftüchern umringten einen schnurrbärtigen Mann, der auf dem Stuhl neben der Tür zum Wehenzimmer saß. In sicherer Entfernung stand Doktor Mazliach, der Kinderarzt. Er lehnte an der Schwesterntheke, während Mirjam, die Hebamme, dem Schreier bereits die Arme um die Schultern schlang. Seine Arme waren dünn, der Körper und das Gesicht aber so angeschwollen, als habe man ihn mit Preßluft aufgepumpt. Er riß sich den blauen Morgenrock auf, schob die Pyjama]acke hoch, schlug auf seinen haarlosen Bauch und rief: »Holt es doch endlich raus! Ich kann nicht mehr!«
    Mirjam schob ihn in Richtung Stationsausgang, während er seinen kahlen Kopf hin und her warf und versuchte, sie in den Arm zu beißen.
    »Wer hat ihn reingelassen? Wer hat die Tür aufgemacht, ohne nachzufragen?« rief Mirjam. Die kreisrunden roten Flecken auf ihren Wangen und die Röte ihrer großen Nase verliehen ihrem breiten Gesicht einen

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