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So habe ich es mir nicht vorgestellt

So habe ich es mir nicht vorgestellt

Titel: So habe ich es mir nicht vorgestellt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Batya Gur
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ich erinnere mich an jede Minute«, sagte die Frau mit dem Goldzahn in dramatischem Ton, doch die mit den Wollstrümpfen und der Goldschnalle an der Tasche ließ sie nicht weiterreden. »Bei mir …«, versuchte sie es zum dritten Mal.
    Das Zimmer war überheizt, die Luft, trocken wie in einem Flugzeug und voller Gerüche, reizte die Haut. Die mädchenhafte Schwangere auf dem schwarzen Stuhl öffnete die Augen, ihr Mund verzerrte sich wie in plötzlichem Schmerz. Mit beiden Händen stützte sie ihren dicken Bauch, erhob sich schwerfällig und ging hinaus. Jo’ela folgte ihr. Im Flur, vor den Holztüren, lehnte sich die junge Frau an die Wand und wiegte sich hin und her, die Lippen zu einem schmalen Strich zusammengepreßt. Sie hatte die Lider gesenkt und schien Jo’ela gar nicht zu bemerken. Jo’ela betrachtete sie und fragte: »Was ist mit Ihnen?«
    »Man hat mich nach Hause geschickt«, flüsterte das Mädchen heiser.
    »Sind Sie untersucht worden?« erkundigte sich Jo’ela.
    »Die Schwester hat mich untersucht und gesagt, es sei noch nicht offen. Das seien nur Übungswehen, sonst nichts. Schon seit zwei Tagen. Ich habe sie gebeten, mich an den Monitor anzuschließen, aber das wollte sie nicht.«
    »Und warum gehen Sie nicht nach Hause?« fragte Jo’ela. »Sie sollten sich ausruhen. Ist es die erste Geburt?« Bei dieser Frage blickte sie nach rechts und links, ob sie den Ehemann irgendwo entdeckte, doch der Flur war leer.
    »Vielleicht sind es Übungswehen«, sagte die mädchenhafte Frau, strich sich mit den rotlackierten Fingernägeln über das Gesicht, blinzelte und murmelte: »Aber sie kommen alle vier Minuten und halten eine Minute an. Schlafen kann ich sowieso nicht, deshalb will ich lieber hier warten. Sie können mich nicht wegschicken.«
    »Hat Sie jemand hergebracht?«
    »Ich habe mich selbst hergebracht«, erklärte die junge Frau. Und dann, wie um weiteren Fragen zuvorzukommen, fügte sie hinzu: »Es gibt übrigens niemanden, der mich hätte bringen können.« Sie seufzte und ging leicht in die Knie, als sei sie drauf und dran, sich auf die Marmorfliesen zu setzen.
    Der starre Blick der jungen Frau, ihr Schweigen und die langsamen, rhythmischen Bewegungen ihres Kopfs von einer Seite zur anderen brachten Jo’ela dazu, jetzt schon das gute Verhältnis zur diensthabenden Hebamme zu gefährden, aber es würde ohnehin Spannungen geben, weil private Geburten wie die, deretwegen sie gekommen war, nicht gerne gesehen wurden.
    »Kommen Sie, wir untersuchen Sie noch einmal.«
    »Mit dem Monitor?« fragte die Schwangere, und ihre Augen wurden schmal.
    »Mit dem Monitor, von mir aus«, versprach Jo’ela.
    »Die Schwester hat gesagt, es sei jetzt kein Monitor frei, sie hat gesagt, daß …«
    »Wir bringen alles in Ordnung, ganz ruhig«, sagte Jo’ela und führte das Mädchen zu der Tür, deren Flügel sich auf ihr Klingeln hin öffneten. Im Wehenzimmer, in das sie hineinschaute, waren alle drei Betten besetzt. Deshalb drückte sie das Mädchen auf den Stuhl davor und ging hinüber zur Schwesterntheke.
    »Glauben Sie mir wenigstens?«
    »Was denn?« Jo’ela erschrak, als die Hand sie plötzlich am Ärmel ihres Mantels packte.
    »Daß ich … daß ich Wehen habe.«
    »Natürlich glaube ich das, auch die Hebamme glaubt das, darum geht es gar nicht. Es gibt Phänomene …«
    »Das sind keine Übungswehen!« beharrte die junge Frau, und Tränen traten ihr in die Augen.
    »Wir werden es gleich untersuchen«, versprach Jo’ela. »Ich muß nur schnell meinen Kittel anziehen, gleich bin ich wieder da.«
    Niemand saß an der Schwesterntheke. Im Hebammenzimmer am Ende des Flurs dampfte der elektrische Wasserkessel, und neben den benutzten Kaffeetassen lagen die Schalen hartgekochter Eier. In einem anderen Zimmer, weiter weg, klingelte ein Telefon, ein lästiges, anhaltendes Geräusch, draußen im Flur rannte eine Schwester vorbei, mit Gummisohlen an den Schuhen. Am Tischende schmierte Mirjam, eine Hebamme, eine Scheibe Schwarzbrot und belegte sie sorgfältig mit Gurken. Neben ihr stand eine angebrochene Schachtel Quark.
    »Deine Geburt dauert noch eine Weile, wenn du der Frau kein Wehenmittel gibst«, sagte sie mit vollem Mund. »Was für ein Gedränge das heute ist. So eine Nacht haben wir schon lange nicht mehr gehabt. Bis jetzt hatte ich keinen Moment Zeit für eine Tasse Kaffee, und dabei haben wir zwei nach Hause geschickt, sonst wäre der Flur …«
    »Tu mir einen Gefallen und leg die junge Frau, die ich dort

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