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So habe ich es mir nicht vorgestellt

So habe ich es mir nicht vorgestellt

Titel: So habe ich es mir nicht vorgestellt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Batya Gur
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clownesken Ausdruck, trotz der Wut in ihren grünen Augen, die von einem zum anderen gingen, wie die Augen einer Lehrerin, die den Jungen sucht, der mit der Kreide nach ihr geworfen hatte, als sie sich zur Tafel umdrehte, und schließlich blieb ihr Blick an dem Kinderarzt hängen. »Man muß immer fragen, wer es ist«, fuhr sie ihn an. »Man darf nicht einfach so aufmachen. Warum schließen wir denn sonst ab?« Der schreiende Mann ging in die Knie und schlüpfte unter dem dicken Arm der Hebamme hindurch, die ihn festzuhalten versuchte.
    »Ruft den diensthabenden Psychiater«, befahl Jo’ela von ihrem Platz neben der Tür aus, und Monika rannte zum Telefon.
    Der Mann hatte wieder angefangen zu jammern und seinen Bauch zu zeigen.
    »Wenigstens hat er sich heute kein Kissen reingestopft«, meinte Mirjam und versuchte, ihn wieder zu packen. Doch der Mann drückte seinen Körper an die Tür, stemmte beide Füße fest gegen den Boden und umklammerte mit beiden Händen die Klinke.
    Plötzlich verließ der Kinderarzt seinen Platz und ging schnell hinüber zu dem Mann. »Wie heißen Sie?« erkundigte er sich.
    Der Mann ließ die Klinke los, klammerte sich mit einer Hand an dem fleckigen Kittel des Arztes fest und schlug sich mit der anderen auf den Bauch. »Holt ihn mir schon raus! Wie lange soll ich warten, bis ihr ihn mir rausholt?« brüllte er.
    »Was sollen wir denn herausholen, mein Freund?« fragte der Kinderarzt, und der Mann drehte den Kopf und brüllte: »Ich bin kein Mann, ich bin eine Frau! Eine Frau!«
    Eine der beiden Schwangeren drückte sich an die Wand und bedeckte ihren Bauch mit beiden Händen, ohne den Blick von dem entblößten Bauch des schreienden Mannes zu wenden. Die drei Araberinnen drängten sich dichter um den bärtigen Mann, der eine Gebetskette in den Händen bewegte und nun von seinem Stuhl aufstand, sich streckte und zur Tür hineinschaute. Doch der Wandschirm verwehrte ihm den Blick auf die Frau, die im Bett an der Tür lag. »Alles in Ordnung«, beruhigte ihn Jo’ela.
    »Sie schicken gleich einen Pfleger«, rief Monika vom Telefon hinter der Schwesterntheke.
    Aus einem der entfernteren Kreißsäle kam ein lauter Schrei, und als die Tür geöffnet wurde, war das Weinen eines Babys zu hören. Der Kinderarzt versuchte, sich aus dem Klammergriff des Mannes zu befreien, ohne Erfolg. Voller Panik blickte er sich um, doch alle blieben an ihrem Platz stehen. Aus dem Kreißsaal waren Stimmen zu hören, eine Tür wurde aufgerissen, eilige Schritte liefen über den Flur, und das Gesicht einer Hebamme tauchte hinter der Schwesterntheke auf. »Doktor Mazliach, wo sind Sie?« rief sie. Einen Moment lang war alles still auf dem breiten Flur, dann fing der Mann wieder an zu schreien: »Holt ihn mir raus! Ich kann nicht mehr! Sein Kopf kommt schon!«
    »Wie lange dauert das denn noch?« murrte Mirjam, drehte sich zu den beiden schwangeren Frauen um, die auf sie zukamen.
    Jo’ela trat zu dem schreienden Mann, so nahe, daß sie seinen Atem auf ihrem Gesicht spüren konnte. Er roch nach Azeton. Etwas Bedrohliches und sehr Machtvolles ging von dieser Freiheit aus, die ihm erlaubte, seinen Körper zu entblößen. Einfach hier hereinzuplatzen und zu schreien. Jeder konnte sich plötzlich hinwerfen und losbrüllen. Wäre da nicht die Angst vor der Einsamkeit und der Brandmarkung, die jeden traf, der sich so etwas herausnahm. Danach war man festgelegt, einen Weg zurück gab es nicht. »Komm, Baruch, komm mit mir«, bat sie.
    »Ich heiße nicht Baruch, ich heiße Ne’ima«, zwitscherte der Mann mit seiner Sopranstimme.
    Jo’ela gab nach. »Komm, Ne’ima. Untersuchen wir dich und holen ihn raus.«
    Der Mann blickte sie an, blinzelte, hörte aber plötzlich auf zu schreien. Sein Mund entspannte sich, und er lockerte den Griff um Doktor Mazliachs Arm. Der lief schnell hinter der Schwester her, die auf ihn gewartet hatte, in Richtung Kreißsaal. Der Mann schlug den Morgenrock zu.
    »Wir untersuchen dich gleich, Ne’ima, aber erst mußt du etwas essen, damit du Kraft hast. Eine Geburt ist sehr anstrengend«, erklärte Jo’ela.
    Mirjam stand hinter der Schwesterntheke, als ginge sie das alles nichts an, aber sie ließ sich nichts entgehen. »Schade um deine Worte«, murmelte sie. »Das wird ihn nur ermuntern, das nächste Mal wiederzukommen.«
    »Er hat mindestens zwei Tage nichts gegessen«, protestierte Jo’ela. »Er riecht schon nach Azeton, so geht es doch nicht.«
    »Nun, nicht jeder kann sich den Luxus

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